Serie: Lustwandeln:Burg gesucht - und gefunden

Lesezeit: 4 min

Wie der Gilchinger Ortsforscher Rudolf Schicht nach einem Adelssitz suchte und oberhalb des Altdorfs auf ein altes Fundament stieß

Von Wolfgang Prochaska, Gilching

Die Gemeinde Gilching kann auf eine große Tradition blicken. Mag der Ort nicht der schönste in Oberbayern sein, so ist er doch einer der gefragtesten. Gilching kann sich vor lauter Neubürgern kaum retten. Wenn noch der letzte große Acker - die "Glatze" - inmitten des Ortes für 1500 Menschen bebaut wird, hat Gilching zum Nachbarn Gauting einwohnermäßig aufgeschlossen.

Verwunderlich ist dies nicht. Gilching ist nicht erst seit heute so beliebt. Der Ort war zu allen Zeiten eine angesagte Location, wie man heute sagen würde. Die Bajuwaren haben am Steinberg gehaust, die Kelten ihre Gräber geschaufelt, die Römer Straßen gebaut und Häuser errichtet und im Mittelalter gab es reichlich Handel. Historiker merken: Da fehlt etwas. Richtig: eine Burg. Kann es sein, dass die Völkerwanderung und das frühe Mittelalter in Gilching keine einzige dieser markanten Spuren hinterlassen haben? Jedes Adelsgeschlecht - ob historisch bedeutend oder nicht - hat sich doch ein Heim auf einem Hügel oder einer Bergspitze gebaut.

Diese Frage dürfte sich wohl auch Rudolf Schicht gestellt haben. Der frühere SPD-Gemeinde- und Kreisrat und Gilchinger Ehrenbürger war auch ein leidenschaftlicher Ortschronist. Und Schicht konnte nicht glauben, dass sein geliebtes Gilching ganz ohne Adelssitz sein sollte. Die Geschichte, die Manfred Gehrke, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Archäologie und Ortsgeschichte, erzählt, klingt deshalb sehr plausibel und zeigt auf einfache Weise, wie wichtig doch Ortsforscher sind. Es ist zudem eine spannende Geschichte.

Etwa im Jahr 2000 soll Schicht - er starb 2012 mit 92 Jahren - die Meinung geäußert haben, dass er fest davon überzeugt sei, dass es in Gilching angesichts der Lage und der geschichtlichen Bedeutung des Ortes eine Burg gegeben haben müsste. Die Topografie würde es jedenfalls zulassen. Auf dem Öl- und auf dem Steinberg überblickt man weit das Land, der Feind wäre weithin sichtbar oder die Fuhrwerke der Handeltreibenden, falls man Zölle erhebt. So fuhr Schicht den Ort ab. Er machte seine Fahrt zusammen mit dem Burgen-Experten Joachim Zeune. Sie schauten sehr genau, vor allem der Steinberg interessierte sie und das Altdorf. Als Schicht und Zeune in Richtung alter Friedhof gingen, entdeckte der Burgen-Experte neben dem Hohlweg nach Alling eine ebene Fläche. "Das könnte das Fundament einer Burg sein", soll Zeune gesagt haben. Das war eine kühne Aussage. Denn wenn man am Anfang des Holzkirchener Weges steht und parallel zur Sankt-Vitus-Kirche schaut, sieht man außer einem Hügel: nichts.

Wie Gehrke weiter erzählt, brauchte man für die Burg-Theorie Beweise. Man müsste an dieser Stelle graben und vor allem etwas finden. Sollten tatsächlich Mauerreste gefunden werden, müsste man zwar nicht die Gilchinger Ortsgeschichte umschreiben, aber man hätte doch ein Geheimnis gelüftet. Denn wie Gehrke herausgefunden hatte, nannten ältere Anwohner den Hohlweg zwischen Kirche und Friedhof schon immer Burggraben. Was fehlte, war nur noch die Burg. 2001 und 2002 fanden auf dem Hügel Grabungsarbeiten statt. Und was nur Schicht und Zeune glaubten, wurde bei den Arbeiten wahr: Man fand Mörtelspuren und mörtelbehaftete Steine, die von einer Mauer stammen mussten. Es gab noch andere Anhaltspunkte für eine ausgedehnte Bautätigkeit. Was bislang Theorie war, wurde immer mehr zur Entdeckung einer bislang unbekannten Historie. Weitere Überreste ließen den Schluss zu , dass es sich um ein Fundament für ein Gebäude handeln musste, das im frühen Mittelalter über Eck zur Hangkante errichtet worden war. Und da die Lage sehr exponiert war, konnte es sich nur um eine Burg handeln.

Die Rosenburg am Steinberg stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Villa ist das stattlichste Gebäude in Gilching. (Foto: Franz X. Fuchs)

Beweise für die Größe wurden auch gefunden. Das Fundament trug einen quadratischen Turm mit den Außenmaßen von etwa acht mal acht Metern und einer Mauerstärke von etwa zwei Metern. "Diese Turmhäuser waren vier- bis fünfgeschossig und wurden in der Regel durch einen Saalbau und eine Ringmauer ergänzt", sagt Gehrke bei der Besichtigung der früheren Grabungsstätte. Etwa zwischen zehn und 15 Meter hoch dürfte die Burg gewesen sein - mit gigantischer Sicht. Wer auf der Wiese steht, erhält eine Ahnung von dem Ausblick. Eine genaue Datierung der Gilchinger Burg sei allerdings nicht möglich, räumt Gehrke ein. Es könnte das achte oder das zwölfte Jahrhundert in Frage kommen. Möglicherweise könnte das Gebäude auch als sichere Fluchtstätte benutzt worden seien. "Sonst weiß man nichts zur Burg", sagt der Ortsforscher, der seit 1991 in Gilching wohnt, im Ruhestand und in Koblenz am Rhein aufgewachsen ist. Angesichts der vielen Burgen und Schlösser an Rhein und Mosel dürfte auch ihm der Gedanke an eine Gilchinger Burg gefallen.

Die Gesellschaft für Archäologie und Ortsgeschichte zeigt auf ihrer Homepage eine Zeichnung, die das mögliche Aussehen der Burg zeigt. Bei ein bisschen Fantasie dürfte das Gebäude im frühen Mittelalter das Wahrzeichen von Gilching gewesen sein; oder vielmehr von vico publico Kiltoahinga, wie der Ort in einer Urkunde im Jahr 804 genannt wurde. Der Name deute daraufhin, so Gehrke, dass der Ort wohl ein Verwaltungszentrum war. Er nimmt an, dass der in der Urkunde erwähnte Reginhard auch die Turmburg am Südrand des großen Berges erbauen ließ.

Der Gilchinger Heimatforscher Manfred Gehrke kennt sich aus in der Frühgeschichte seiner Gemeinde. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Allerdings traten bei den Ausgrabungen noch andere Fundstücke zu Tage. Anscheinend wurde die Hochfläche auch für Bestattungen genutzt, wie viele Knochenreste zeigten. Die Gräber enthielten Beigaben wie ein Kurzschwert (Sax), eine Pfeilspitze, ein Eisenmesser und eine Gürtelschnalle und stammen wohl aus dem siebten Jahrhundert. Sie befanden sich zwischen den Mauerresten. Außerdem wurden eine Scherbe aus keltischer Zeit, ein Fragment eines spätrömischen Gefäßes aus dem vierten Jahrhundert und eine römische Münze gefunden. Anscheinend wurde schon in grauer Vorzeit auch dieser Bereich als Friedhof verwendet.

Was danach auf der Hochfläche über Gilching geschah, bleibt weiter im Dunkel der Geschichte. Im 16. Jahrhundert war jedenfalls von der Burg nichts mehr zu sehen. Funde wie eine Brechstange aus dem Mittelalter lassen die Annahme zu, dass irgendwann die Bewohner von Gilching begannen, das Gebäude abzutragen und die Steine für ihre eigenen Häuser zu verwenden. Aus der Burg wurde ein günstig gelegener Steinbruch. Damit war auch ihr Schicksal besiegelt. Es kann durchaus sein, dass in ein paar alten Gilchinger Häuserndie Überreste der alten Burg das Mauerwerk bilden. Immerhin ist sie damit nicht ganz aus Gilching verschwunden. Auf jeden Fall ist sie als schöne Geschichte lebendig. Das ist sehr viel für ein Mauerwerk, das seit Jahrhunderten nicht mehr existiert.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: