Schwule und Lesben:Erst der Beruf, dann das Outing - warum?

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Aus Angst vor Mobbing verheimlichen viele Homosexuelle im Job ihre Orientierung. Rani Nguyen plant deshalb Karrieretage für Schwule, Lesben - und deren Freunde.

Lena Mischau

Das Plakat machte neugierig. Eine Milchflasche war zu sehen, ganz in rosa. Geworben wurde damit im Frühjahr für ein europaweit bisher einmaliges Ereignis: die "Milk Messe 2010", die ersten Karrieretage für Schwule, Lesben und deren Freunde. Entworfen hat das Plakat Rani Nguyen, 23, aus Haar. "Der Name ist eine Hommage an den ehemaligen Bürgermeister San Franciscos, Harvey Milk. Er bekannte sich in den 70er Jahren als einer der ersten Politiker öffentlich zu seiner Homosexualität und hat damit eine regelrechte Bürgerrechtsbewegung ausgelöst", erklärt Rani.

Im Berufsleben trauen sich die wenigsten, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen - auch aus Angst vor Mobbing. (Foto: ag.ddp)

Der 23-jährige Haarer studiert eigentlich französische Philologie; die letzten Monate standen für ihn aber trotz Prüfungsphase hauptsächlich im Zeichen der "Milk Messe". Seitdem das Projekt im vergangenen Sommer von zwei jungen homosexuellen Männern ins Leben gerufen wurde, hat Rani den gesamten Entwicklungsprozess mitgetragen und insbesondere das mit der Messe verknüpfte Milk Magazin geschaffen.

Sowohl Design, Layout als auch der Großteil der Texte stammen von ihm; eine dementsprechende Ausbildung hatte er nie. "Während meiner vierjährigen Arbeit als Jugendleiter in einem Jugendzentrum in Haar habe ich zwar erste Erfahrungen mit Publikationen gesammelt", sagt er bescheiden, "das meiste war trotzdem Learning by Doing." Dass seine Arbeit unentgeltlich erfolgte, stört ihn kein bisschen: "Mein Ziel ist es, später journalistisch oder gestalterisch tätig zu werden. An diesem Magazin konnte ich mich austoben und unglaublich viel lernen!"

Vor allem aber konnte er so das Projekt unterstützen. Hierzulande sind Karrieretage für Homosexuelle bisher noch völlig unbekannt. Aber sind sie angesichts der gesellschaftlichen Akzeptanz prominenter Homosexueller wie Guido Westerwelle oder Anne Will solche Projekte überhaupt notwendig? Ranis Stirn legt sich in Falten. "Das sind alles Einzelfälle, aber sicher nicht die Regel! Die Realität sieht doch ganz anders aus, sagt er. Auch wenn die Situation heute einfacher sei als in der Vergangenheit, sagt er, habe etwa die Kriminalität gegen Schwule und Lesben in den vergangenen Jahren wieder verstärkt zugenommen.

Auch Rani wurde bereits vor einem Münchener Schwulen-Club aufgrund seiner offenkundigen Homosexualität angegriffen und trug eine gebrochene Nase davon. "Dass homosexuell zu sein heutzutage keine Probleme mehr nach sich zöge, das behaupten tatsächlich nur Heterosexuelle", meint Rani lakonisch.

Gerade im Berufsleben trauen sich die wenigsten, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Aus Angst vor Mobbing, Nachteilen im Bewerbungsgespräch oder bei Beförderungen vertuschten viele Menschen ihre wahre sexuelle Orientierung. "Heterosexuelle outen sich ständig", versucht Rani zu erklären, "das fängt beim Erzählen vom Familienurlaub und dem Ehering am Finger an und hört mit dem Foto des Partners auf dem Schreibtisch auf."

Beruf und Privatleben - nicht trennbar

Beruf und Privatleben sind eben leider nicht vollkommen trennbar, ein Gespräch in der Mittagspause zwischen Kollegen, ein Geschäftsessen - immer und überall geben wir Persönliches über uns preis. Um nicht aufzufallen, müssten Schwule und Lesben sich permanent verstellen; die Angst, womöglich enttarnt zu werden und damit möglicherweise verbundene negative Konsequenzen zu erleiden, stellen eine enorme Belastung für die Betroffenen dar.

Genau hier setzt Milk an. Deren Ziel ist es, "Diversity Management" zu fördern, zu Deutsch: die Verwaltung von Vielfalt. Das bedeutet, die sozialen Unterschiede der einzelnen Menschen sollen im Berufsleben nicht nur toleriert, sondern vielmehr positiv angenommen werden. Diversity Management beschränkt sich dabei nicht auf die sexuelle Orientierung; Kriterien wie Geschlecht, Ethnie, Alter, Religionszugehörigkeit, oder Behinderungen fallen ebenso darunter. "Wenn dein Arbeitgeber öffentlich hinter dir steht, hat Mobbing kaum eine Chance", erklärt Rani das Konzept.

Die Vorteile für die Unternehmen: Neben verbesserter Chancengleichheit für den einzelnen Mitarbeiter und einem positiven Betriebsklima erschließen sie sich qualifizierte Fachkräfte, die sich bewusst bei Unternehmen bewerben, die ihren Mitarbeitern mehr Wertschätzung entgegenbringen als die Konkurrenz - ganz gleich ob sie selbst homosexuell sind oder nicht. "Wenn ein Unternehmen ganz offen Schwule und Lesben akzeptiert, dann kann ich davon ausgehen, dass es auch jedem anderen Mitarbeiter sehr positiv gegenübersteht", bringt es Rani auf den Punkt.

Nicht umsonst lautet das Motto auf dem Cover des Milk-Magazins: "Dein Arbeitgeber wird geoutet." Ende dieses Jahres soll der sogenannte Milk-Index erscheinen: ein kostenloses Booklet, das die Ergebnisse von Mitarbeiterumfragen präsentiert, welche Unternehmen sich besonders oder aber weniger tolerant und wertschätzend gegenüber ihrer Belegschaft verhalten.

© SZ vom 08.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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