"Schwarze Gans" in Tutzing:Hoch die Tassen!

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In der illegalen Kneipe trafen sich einst Tutzings Handwerker zum Zechen. Die Nachfahrin der Hauseigentümer erzählt deren Geschichte

Von Sabine Bader, Tutzing

Für Handwerker ist der abendliche Gang in die "Schwarze Gans" praktisch ein Muss. Denn hier spielt sich zwischen den frühen 1950er- und den späten 1970er-Jahren das gesellige Leben in Tutzing und Umgebung ab - im ehemaligen Wohnzimmer eines umgebauten Pferdestalls der Baumeisterfamilie Knittl. Stefanie Knittl beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte ihrer Familie und sie weiß aus Erzählungen und Erinnerungen viel über die Schwarze Gans.

Eine Konzession hat die Kneipe in jener Zeit nicht. Georg Krutina, genannt Schorsch Krutina (1900-1982), betreibt sie ohne behördliche Genehmigung. Er stammt aus Böhmen, ist Flüchtling, ehemals Bahnschaffner. Ihn verschlägt es nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Frau Theresia und den Söhnen Josef und Georg nach Tutzing. Sohn Josef (1926-2001) wird Maurerpolier im Knittlschen Baumeisterbetrieb. Ein Job, den er sein Berufsleben lang ausüben wird.

Die Familie mietet sich im ehemaligen Pferdestall der Knittls ein. Längst schon beherbergt das Gebäude keine Pferde mehr und ist zu Wohnzwecken umgebaut. Denn im Unternehmen werden zur damaligen Zeit keine Pferde mehr als Zugtiere für Baumaterialien benötigt. Es gibt Lastwagen.

Schorsch Krutinas Frau und der jüngere Sohn sterben bereits Anfang der sechziger Jahre. Und ihm ist es offenbar ein Gräuel, abends allein in seinem Wohnzimmer zu sitzen. Er räumt es aus und funktioniert es zur inoffiziellen Arbeiter-Kneipe um. Denn er ist ein geselliger Mensch und liebt es, wenn abends die Handwerker bei ihm eintrudeln. Wenn sie vom Tag erzählten, schwatzen, lachen, rauchen und tüchtig trinken. Seine Schlafpritsche stellt er neben der Gaststube in einer Kammer auf. In dem kleinen Wirtshausraum der Kneipe stehen nur drei Tische und ein altes Küchenbuffet. Wann immer das Wetter es zulässt, wird draußen an einem langen Tisch unter der Kastanie im Innenhof gezecht. Aus dem alten Radio auf dem Küchenfensterbrett dröhnt Musik und zuweilen wird dort auch das Tanzbein geschwungen.

Stefanie Knittls Familie gehört das Gebäude. (Foto: Arlet Ulfers)

Aber woher stammt eigentlich der Name Schwarze Gans? Für Stefanie Knittl gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Name beruht auf der Tatsache, dass die Kneipe praktisch "schwarz", also ohne Konzession, betrieben wurde. Oder aber er kommt daher, dass jeder Bauherr wusste, dass man hier auf Handwerker aller Sparten traf - vom Mauerer über den Elektriker bis hin zum Zimmerer -, die sich mitunter mal ganz gern nach Feierabend etwas "schwarz" hinzu verdient haben.

Eben weil Stefanie Knittl selbst noch Erinnerungen an die Kneipe auf dem Grundstück ihrer Eltern und Großeltern hat, nennt sie diese fast liebevoll eine "soziokulturelle Begegnungsstätte". Das Lokal ist täglich von morgens bis abends geöffnet. Auch Josef Krutinas Ehefrau Gertrud hilft dem Schwiegervater nach Kräften. Sie kocht auch diverse Gerichte wie Böhmische Knödel. Zeitweise leben drei Generationen der Familie hier unter einem Dach.

In seiner Kneipe schenkt der Wirt übrigens nur Flaschenbier aus. Mit diesem beliefert er per Leiterwagen auch die komplette Umgebung - Sägewerk, Tankstelle, Reinigung und Reißverschlussfabrik. Auch wer sonst hereinschaut, wird mit Flaschenbier versorgt. Das Bierdepot befindet sich im Schuppen neben dem Haus, wo es sich kühl lagern lässt. Mit seinem Bierverkauf bestreitet Krutina senior einen Großteil seines Lebensunterhalts. "40 Träger pro Woche, damit war er zu dieser Zeit der Hauptabnehmer der ehemaligen Brauerei Bräuwastl in Weilheim", erzählt Knittl.

Zu den Geschichten, die man sich über die Schwarze Gans und ihren Wirt erzählt, gehört auch jene: Schorsch Krutina tut sich offenbar zeitlebens etwas schwer mit dem Kopfrechnen. Darum nimmt er immer den einkassierten Betrag und verschwindet damit in seiner angrenzenden Schlafkammer. Dort bildet er ungestört von neugierigen Blicken kleine Häufchen, die er so lange hin und her schiebt, bis er das Wechselgeld ausgerechnet hat und mit ihm zurück zu den Gästen eilen kann. Eine andere Anekdote im Hause Knittl hat mit der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern zu tun. Natürlich versammeln sich die Handwerker und Arbeiter beim Endspiel Deutschland gegen Ungarn in der Schwarzen Gans. Alle scharen sich um das alte Radiogerät. In der sechsten Minute schießt Ungarn ein Tor. Alles grölt los und einer der Gäste schreit: "Wenn die anderen noch ein Tor schießen, friss ich das Bierfilzl . . ." Zwei Minuten später muss er es schon runterschlucken. Denn bereits in der achten Minute fällt bekanntlich das zweite Tor für Ungarn.

In den ehemaligen Pferdestall passten nur drei Tische, darum wurde häufig draußen zugeprostet. (Foto: Gisela Krutina)

Stefanie Knittl ist 53 Jahre alt und der letzte Abkömmling der Tutzinger Unternehmerfamilie. Sie ist Berufsschullehrerin und arbeitet in München. Sie hat unter dem Titel "Häuser erzählen Geschichten - Baumeisterfamilie Knittl am Starnberger See (1872-1987)" im Apelles-Verlag ein dreihundertseitiges Buch über ihre Familie herausgebracht. Davon ist in diesem Jahr bereits die zweite Auflage erschienen. Ihre Tutzinger Familie brachte zahlreiche Baumeister-Generationen hervor. Der Beruf des Baumeisters beinhaltete neben dem Unternehmertum auch stets eine Architektenausbildung. Und so haben die Baumeister die Villenkultur am Starnberger See mitgeprägt. Das Familienanwesen steht in der Tutzinger Hauptstraße im Norden der Westufergemeinde. "Das war früher das Arme-Leute-Viertel", erzählt Knittl. Das habe sich allerdings komplett gewandelt. "Damals konnte man sich hier noch ein Grundstück leisten."

Heute ist das herrschaftliche Vorderhaus vermietet - an eine Arztpraxis, eine Homöopathiepraxis und die Tabaluga-Stiftung von Peter Maffay. "Das Haus ist offen, jeder kann rein und es ist immer Betrieb hier." Das ist Stefanie Knittl wichtig. Sie selbst wohnt im Hinterhaus. Das ehemalige Firmenanwesen steht unter Denkmalschutz. Da sie keine Kinder hat, will sie das Ganze einmal in eine Stiftung einbringen und so dafür Sorge tragen, "dass alles erhalten bleibt". Knittl wollte auch erreichen, dass der hundert Meter entfernt gelegene ehemalige Pferdestall der Familie, den sie 2019 aufwendig mit den historischen Dachziegeln und alten Fließen sanieren ließ, unter Denkmalschutz gestellt wird. Doch die Behörden hätten das Gebäude als "nicht denkmalwürdig" abgelehnt, erzählt sie. Heute befindet sich darin eine Yoga- und Psychotherapie-Praxis.

© SZ vom 06.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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