Roman:Stethoskop und Hakenkreuz

Lesezeit: 3 min

Beate Gruhn, die spät mit dem Schreiben begonnen und bisher Gedichte und Erzählungen veröffentlicht hat, mit ihrem Roman "Der letzte Buchstabe". (Foto: Georgine Treybal)

Beate Gruhn aus Gauting erzählt in ihrem Roman "Der letzte Buchstabe" die Geschichte einer jungen Ärztin, die den Nazis auf den Leim geht und lange alle Warnungen ignoriert

Von Blanche Mamer, Gauting

Der erste Weltkrieg ist vorbei, Deutschland hungert. Elise Koch will Ärztin werden, der Vater ist dagegen. Sie widersetzt sich und beißt sich durch. In München verliebt sie sich in den feschen Korpsstudenten Frederik Kanther und taucht in eine für sie unbekannte Welt ein. Sie bekommt das dubiose Privileg, die Studenten mit schwierigen Mensurwunden zu verarzten. In der schönen Nachbarin Charlotte Kramer, der Geliebten eines reichen Geschäftsmannes, findet sie eine Verbündete und Freundin. Elise lernt zudem den geheimnisvollen Zett kennen, der ihr Gedichte schreibt. Das klingt nach Lore-Roman. Anfangs.

Doch die Autorin Beate Gruhn, die in Gauting lebt, hat sich ein hohes Ziel gesteckt: In ihrem Roman "Der letzte Buchstabe" beschreibt sie ein Frauenschicksal im München der 20-er Jahre, über die Nazizeit, den Krieg bis zum Zusammenbruch. Gruhn will zeigen, wie eine starke, intelligente und gutherzige Frau dem erstarkenden Nationalsozialismus auf den Leim geht und ihr Engagement für Mütter, Frauen und Mädchen in den Dienst der Nazis stellt. Sie sieht die Zeichen nicht, weder als junge Ärztin in Heidelberg noch später, als sie wieder in München ist, nach der Heirat mit dem Arzt Erich Reiser. Sie ist total verblendet, Hitler ist ihr großer Star, der Erneuerer, der Retter. Solange, bis es fast schon zu spät ist.

Nur indirekt habe der Roman mit ihr selbst zu tun, sagt die Autorin, die in Wiesbaden geboren ist und lange als medizinisch technische Assistentin in der Forschung am Universitätsklinikum München arbeitete. Gruhn hat erst spät mit dem Schreiben begonnen, hat Erzählungen und Gedichte veröffentlicht. Und nun den Roman, für den sie lange recherchiert hat. Als junges Mädchen sei sie bei einem Aufenthalt in England zufällig auf ein Buch über den Holocaust gestoßen, erzählt sie. "Ich war entsetzt, erschüttert. Ich habe geweint und mich geschämt und konnte das Unmenschliche nicht begreifen. In meiner Familie war nie darüber gesprochen worden, und ich wagte nicht, daran zu denken, dass Verwandte, Freunde, Bekannte möglicherweise beteiligt waren." Sicher, als Kind habe sie die Bedrohung und die Angst der Erwachsenen gespürt. Ob sie selbst als Kind die Kriegszeit miterlebt hat, beantwortet sie indes nicht.

"Da ich so wenig über den Krieg und die Nazi-Zeit wusste, habe ich angefangen, gezielt zu lesen und zu recherchieren." Keine Frage, das Regime habe nur funktionieren können, weil es so viele Unterstützer und Mitläufer gab. "Wie es dazu kommen konnte, hat mich interessiert. Ich habe mich auch mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, aus dem ja die große Not entstanden ist." Jedenfalls erkennt ihre Protagonistin erst spät, welchem barbarischen System sie dient. Dass jüdische Geschäfte brennen, Synagogen zerstört werden, Menschen verschwinden, interessiert sie wenig. Eigentlich regen sich erst in dem Moment Zweifel, als das Leben ihrer Freundin Lotte bedroht ist. Diese war, als ihr langjähriger Liebhaber, der jüdische Schmuckhändler Simon Blumenfeld, sie heiratete, zum Judentum übergetreten und nun eine "Rassenschänderin".

Als Elise später, aus Instinkt heraus, einen jüdischen Buben vor der Gestapo rettet, ahnt sie nicht, dass das nach dem Krieg,zu ihrer Rehabilitation beitragen würde. In München ausgebombt, flüchtet Elise mit ihren Kindern und der Mutter zu ihrer Schwester Martha nach Gauting. Weil der Vater Martha bevorzugt hatte und deren Ausbildung zur Sängerin finanzierte, hatte Elise sie immer beneidet, ja sogar gehasst. Doch Martha hatte das Naziregime schon viel früher durchschaut und Elise gewarnt. Gewarnt hatte sie auch ihr alter Freund Zett, eigentlich von Zettritz, der als Journalist arbeitete, bevor er verschwand. Gruhn erklärt Elises Verhalten mit der Suche nach Anerkennung. Durch die Nazis habe sie als Ärztin und als Frau die Beachtung gefunden, die sie sich vom Vater erhoffte. Da sie sich immer nach seiner Liebe und Wertschätzung gesehnt habe, habe Hitler als eine Art Ersatz fungiert. Das scheint dann doch ein wenig zu einfach. Doch die Geschichte bleibt spannend, liest sich gut.

"Der letzte Buchstabe" ist im Münchner Salon Literatur Verlag erschienen.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: