Nur alle acht Wochen ein gelber Sack:Ein Leben fast ohne Plastik

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Bettina Haberle versucht zusammen mit Mann und Sohn Verpackungsmüll zu vermeiden. Die Gautingerin empfiehlt, langsam anzufangen und nicht zu streng zu sein. "Der komplette Verzicht ist fast nicht machbar."

Von Blanche Mamer

Auf dem Gewürzregal in der Küche reihen sich kleine, gleich große Gläschen mit Schraubverschlüssen und handgeschriebenen Aufklebern. Das wäre an sich nichts Besonderes, wenn die Küchenfee Bettina Haberle nicht jedes Gewürz unverpackt gekauft und aus der Großpackung im Laden in die Gläschen abgefüllt hätte. Auch in der Speisekammer stehen Vorratsgläser neben Einweckgläsern, kleine und große, helle und braune. Hier werden getrocknete Bohnen, Kichererbsen, Nudeln, Getreidekörner, Weizen geschrotet, Naturreis, grober Zucker, und vieles mehr aufbewahrt. Etliche Gläser haben auffallende Papieretiketten, nicht aufgeklebt, sondern mit einer Schnur aufgebunden. Die erwachsene Tochter hat sie angefertigt. "Das ist hübsch und ökologisch und erspart mir das lästige Abrubbeln der Klebstoffreste", sagt die Gautingerin stolz und Freude schwingt in der Stimme mit. Bei der 25-jährigen Tochter hat das Engagement der Mutter gefruchtet, sie ist Filialleiterin eines "Unverpackt"-Ladens in Köln und steuert so manch gute Idee zu Mutters Plastikfasten bei.

Bettina Haberle in ihrer Speisekammer, wo sämtliche Vorräte lagern, die sie unverpackt eingekauft und in Gläser abgefüllt hat. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Langsam anfangen und sich freuen, wenn man daran gedacht hat, vorm Einkaufen Gefäße, Papiertüten oder Stoffsäckchen einzustecken", erklärt Bettina Haberle. Seit Jahren vermeidet die 54-Jährige Plastiktüten und -verpackung und gibt Tipps fürs Plastikfasten. "Der komplette Verzicht auf Kunststofffolien ist kaum machbar und als Zielsetzung viel zu hoch", findet sie und rät, Schritt für Schritt zu beginnen. Sie ist eine der Teilnehmerinnen der Einkaufsgemeinschaft und des Plastikfastens von Christiane Lüst vom Gautinger Umweltzentrum Öko & Fair.

Käse und Gemüse wickelt Haberle sie in Bienenwachstücher. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Gedanken über die Umwelt macht sich die Physiotherapeutin eigentlich schon seit der Geburt der Tochter. Damals arbeitete sie in einem Reformhaus mit und stolperte über den lässigen Umgang mit Wegwerfwindeln. "Viele meiner Bekannten haben den Kopf geschüttelt, weil ich Stoffwindeln benutzte. Sie fanden mich sicher ganz schön blöd, dass ich mir die Arbeit machte, Windeln zu waschen", erzählt sie. Die eigenen Eltern hätten sie sogar angefeindet, weil ihr alternativer Weg den der Familie in Frage gestellt habe. Damals habe noch niemand über Plastikmüllberge, verseuchte Meere oder Mikroplastik in Fischen gesprochen und sie selbst habe vieles nicht gewusst. "Doch ich hatte ein schlechtes Gefühl, weil Plastikmüll ja nicht wiederverwertet wurde. Das Zeug musste ja irgendwohin."

Anstatt Zahnpasta aus der Tube benutzt die 54-Jährige Tabletten. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das heißt aber nicht, dass sie seit 25 Jahren konsequent Plastik vermeidet. "Das schaff ich auch heute noch nicht. Ich hab immer mal Zeiten, wo ich nachlässig bin. Und ich merke immer, wenn ich zu stur und zu fordernd bin, dann machen mein Mann und mein Sohn, der noch bei uns wohnt, einfach zu und streiken", berichtet sie. Wenn ihr Mann einkaufen gehe, und er gehe gern zum Discounter, bringe er mit Sicherheit in Plastik verpackte Mozzarella mit oder eingeschweißten Schnittkäse. Oder Gummibärchen und einzeln in plastifizierte Hüllen eingewickelte Schokomüsli-Riegel! Was heißt, dass doch etwa alle acht Wochen ein gelber Sack voll wird. Trotzdem freue sie sich, wenn ihr Mann einen Einkaufskorb und Stoffbeutel mitnehme. Ein großes Thema vor einigen Jahren noch, ist heute keins mehr: Statt Mineralwasser aus Plastikflaschen kommt Wasser zum Trinken aus der Leitung. Daran hat sich mittlerweile die Familie gewöhnt, auch die meisten Freunde und Besucher.

Als die Kinder noch zur Schule gingen, fanden sie das Umweltbewusstsein ihrer Mutter ziemlich doof, erzählt diese. Auch ihre Tochter habe nicht verstanden, dass es bestimmte Süßigkeiten oder Getränke nicht gab. Ein Umdenken habe erst gegen Ende der Pubertät eingesetzt.

Auf Plastik zu verzichten sei eine Frage des Bewusstseins, findet Haberle. Heute gehört ein schmales Glas mit Schraubverschluss zur Ausstattung der Handtasche - für einen Smoothie oder einen "Café to go". Plastik zu vermeiden benötigt aber auch viel Zeit. Und Geduld, um die Geschäfte ausfindig zu machen, die unverpackte Waren anbieten. "Leider gibt es bis jetzt keinen Unverpackt-Laden im Würmtal. Dafür muss man noch nach München fahren", bedauert sie. Doch es gebe Möglichkeiten: In Teeläden sei es kein Problem, sich die Tees gleich in Säckchen abfüllen zu lassen. In guten Naturkostläden seien Mehl, Getreide, Nüsse oder Trockengemüse in Papiertüten abgepackt, Fleisch und Käse könnten an der Theke in mitgebrachte Gefäße eingepackt werden, in einigen Filialen gebe es dafür sogar Prozente auf den Preis. Wobei die Gefäße nicht unbedingt aus Glas sein müssen, sagt sie. "Ich will Dosen aus Hartplastik nicht total verdammen. Es ist schon ein guter Anfang, wenn sie wieder verwendet werden und es hilft der Umwelt nicht, wenn sie im gelben Sack landen." Gute Erfahrung macht Haberle mit waschbaren Bienenwachstüchern. Im Kühlschrank halten sie Käse und Gemüse frisch und lassen keinen Geruch durch. Damit kann sie völlig auf Frischhaltefolie verzichten.

Etwas komplizierter als der Einkauf von Lebensmitteln ist die Sache mit den Wasch- und Reinigungsmitteln. "Ein Großteil der Plastikberge besteht aus Behältern für Putz-, Kosmetik- und Hygieneartikel. Doch es gibt auch dafür Ersatz: Statt Haarshampoo kann man auf in Papier gewickelte Haarseife umstellen, statt Zahnpasta benützt Haberle Zahnputztabletten, die sie in einem alten Tintenfass aufbewahrt. Deo lässt sie sich von einer befreundeten Plastikvermeiderin mischen. Essig, Zitronensäure, Soda, Kernseife und Natron können fast alle modernen Reinigungsmittel ersetzen. Von einer Freundin hat Haberle ein Waschmittel- und ein Weichspüler-Rezept. Damit kann sich jeder mühelos selbst sein Mittel mixen. Informationen dazu gebe es im Netz unter www.smarticular.net und in dem Buch "Fünf Hausmittel ersetzen eine Drogerie".

Das Plastikfasten hat für Haberle aber noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: "Es entschleunigt. Wenn ich weiß, was ich wirklich brauche und was ich wo besorge, dann kann ich ganz gelassen und in Ruhe einkaufen. Ohne jeden Stress", sagt sie.

© SZ vom 29.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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