Percha:Im Getreidelager gedeiht die Kunst

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Offspace: Ausstellungen außerhalb von Museen oder Galerien sind in Mode. Auch ein ehemaliges Getreidelager eignet sich dafür. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Malerin Ruth Kohler und Hans Haas stellen im Gestüt Isarland aus

Von Katja Sebald, Percha

Offspace heißt das Zauberwort. Kunst, vor allem junge und unabhängige Kunst, findet auch und insbesondere jenseits von Museen und etablierten Galerien statt. Harald Szeemann hat es vorgemacht, als er 1999 als Kurator der Biennale von Venedig erstmals auch das Arsenale, die aufgelassene Schiffswerft der Lagunenstadt, mit Kunst bespielte. Seither werden überall auf der Welt leere Fabrikhallen, Bahnhöfe und Tiefgaragen als hippe Ausstellungsräume genutzt. Ihr oftmals ruinöser Zustand heißt "Industrial Chic", längst wird er von Innenarchitekten auch künstlich hergestellt. Ganz neu ist der Trend also nicht mehr, das tut aber dem Charme der "Exposition mobile" keinen Abbruch, die am vergangenen Wochenende auf dem Gestüt Isarland in Percha eröffnet wurde.

Alinde Rothenfußer hat das 1939 erbaute und denkmalgeschützte Gestüt vor zwei Jahren zusammen mit ihrem Mann von der Stadt München gekauft, aber die Eigentumsverhältnisse sind immer noch nicht ganz geklärt, weil ein anderer Interessent ein Vorkaufsrecht geltend macht. "Das ist mir aber jetzt egal", sagt die Künstlerin und Galeristin, die mit ihrem "Kunsthaus Orplid" zum Urgestein der Kunstszene im Münchner Süden gehört: Mit der Malerin Ruth Kohler und dem Objektkünstler Hans Haas hat sie jetzt zwei langjährige Wegbegleiter zu einer ersten gemeinsamen Ausstellung im ehemaligen Getreidelager des Gestüts eingeladen, weitere sollen folgen. Der dreigeschossige Betonbau bietet insgesamt 900 Quadratmeter Ausstellungsfläche, er kann mit den rohen Wänden, den grob in den Boden gebohrten Lüftungslöchern und vielen anderen Spuren seiner ehemaligen Nutzung mit urbanen "Offspaces" durchaus mithalten, bietet aber darüber hinaus einen grandiosen Blick ins Naturschutzgebiet und eine herrliche Umgebung. Den ganzen Sommer werden die drei Künstler immer wieder neue Arbeiten zeigen, außerdem sind Konzerte und Lesungen geplant.

Blickfang und Höhepunkt in dieser "mobilen" Ausstellung sind vorerst unbestritten die extrem großformatigen, zweiteiligen Gemälde von Ruth Kohler, die an die Wand gelehnt und dann beinahe raumhoch aufragend präsentiert werden. Die über 80-jährige Malerin, die unter anderen in Paris bei Fernand Léger hospitierte, ist bekannt für ihre farbstarken und abstrakten Bilder, die seit Mitte der Achtziger Jahre entstehen. Stets von der Farbe, nicht von der Fläche ausgehend, erzeugt die Malerin mit breiten gestischen Spuren enorm bewegte, kraftvolle und raumgreifende Bildwelten, die zwar die Realität nicht abbilden, aber doch in ihren Farbstimmungen widerspiegeln.

Ebenfalls ungegenständlich erscheinen dem flüchtigen Betrachter die Bilder von "Alinde", so der Künstlername. Bei genauerem Hinsehen wird er aber die farbigen Strukturen, Flächen, Formen und Schlieren, die ihnen zugrunde liegen, als Fotografien erkennen: Roststellen und Plastikinhalt von Müllcontainern, zerknüllte Folien oder Segel, eigentlich Unschönes oder zumindest Unspektakuläres, fängt die Künstlerin mit der Kamera ein, um dann die ausgedruckten Fotos mit Farben und Stiften auf der Vorder- wie auch der Rückseite zu bearbeiten, das so entstandene Bild wieder abzufotografieren und weiter zu verfremden - oder schließlich auf einer Lastwagenplane im großen Format ausgedruckt wie eine Landkarte zu präsentieren. Dabei entstehen Andeutungen von Gesichtern und Figuren, manchmal aber auch nur Verunklärungen des ursprünglichen Motivs. Fast noch reizvoller sind die ebenso gefertigten kleinformatigen Papierarbeiten, die als vielteilige Serien gezeigt werden.

Ganz im Hier und Jetzt hingegen bewegt sich Hans Haas, der neben einigen großformatigen Bleistiftzeichnungen eine Vielzahl von kuriosen Objekten zeigt, die er aus Fundstücken zusammenfügt: Die Sättel von zwei Bonanza-Rädern bekommen zwei zarte Galionsfiguren und bilden so das bezaubernd seltsame Gespann mit dem Titel "Freundschaft". Ein Holzstück wird mit einigen verbeulten Blechdosen auf einem hohen Gestell aus orangerot gestrichenen Rohren angerichtet und als "Hendl" serviert. Zwei Pferde küssen sich auf ihrem Liebeslager aus Neonröhren, und die Jagdgöttin Diana, die mit ihrem hoffnungslos verbeulten Streitwagen eine Panne hat, stellt ein "Welldreieck" auf - es ist ein bezaubernder Kosmos der Merkwürdigkeiten.

Die Ausstellung "Exposition mobile" ist noch bis zum 25.10.2015 jeweils samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter 01 72 - 9 62 14 80 im Gestüt Isarland, Heimathshausen 1b, zu sehen.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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