Nepomuk:Das Wunder von Hadorf

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Irgendwann verliert jeder die Geduld. Vor allem wenn eine Ampel immer nur rot anzeigt

Als geduldiges Wesen bin ich ja einiges gewohnt. An der Supermarktkasse lasse ich gern Menschen vor, die es eilig haben, auch wenn sie einen vollbepackten Einkaufswagen vor sich her schieben. An der Tankstelle, wenn sich alle vordrängeln wollen mit ihren dicken Karren, weil sie Angst haben, gleich könnte der Preis von 125,9 auf 126,9 Cent steigen, schaffe ich eine Lücke und lass' sie vor. Mein Altruismus geht sogar so weit, dass ich mich wirklich an Tempo 30 in Starnberg halte, nur um von diesem Smiley angelächelt zu werden. Und es sind bekanntlich verdammt viele in der Stadt. Blicke ich dann in den Rückspiegel, merke ich, dass ich der Erste einer langen Kolonne bin. Nun gut, manchmal funktioniert Geduld nicht, auch wenn es im "Dschungelbuch" heißt: Probier's mal mit Gemütlichkeit! Das sehen meine Hintermänner wohl etwas anders. Aber man lernt ja auch dazu.

Zum Beispiel, wenn man von Söcking aus nach Hadorf unterwegs ist. Dort wird an der Einmündung in die Dorfstraße schwer umgebaut: Zusätzliche Bushaltestellen soll es geben und einen Bürgersteig. Damit die Bauarbeiter auch sicher umbauen können, stehen an dieser sicherlich wichtigen Baustelle auch Ampeln. Seltsamerweise zeigt meine Ampel immer Rot. Ich weiß nicht, ob die Schaltung einen optischen Sensor besitzt, der so eingestellt ist, dass er jedes Auto, das aus Söcking kommt, erst einmal stoppt - oder ob er nur auf mich reagiert. Letzteres wäre entweder eine Sauerei oder eine Paranoia.

Tatsache ist jedenfalls - und das ist keine Einbildung -, dass ich Abend für Abend vor dieser roten Ampel warten muss. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Ich gestehe, und ich empfinde es wie eine Niederlage, dass ich in dieser Woche die Geduld verloren habe. Ja, ich habe das Rotlicht ignoriert, nachdem zum hundertsten Mal die Anderen Grünwelle hatten. Aber ich bin nicht der Einzige. Als sich am Donnerstag vor dieser roten Ampel wieder einmal eine lange Kolonne Wartender gebildet hatte, zu der natürlich auch ich gehörte, bin ich ausgestiegen. Mein Ziel war klar: Ich wollte den Ersten der Kolonne dazu animieren, das Rotlicht zu ignorieren. Nun ja, es gelang mir wirklich. Dabei sind deutsche Autofahrer wirklich gesetzestreu. Ich nenne es das Wunder von Hadorf. Denn nachdem das erste Fahrzeug trotz Rotlicht losfuhr, schlossen sich auch die anderen Autofahrer an. Eine ganze Kolonne fuhr bei Rot über die Ampel. Natürlich war es reine Notwehr, bezeugt Euer Nepomuk

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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