"Musikferien am Starnberger See":Musik als Zufluchtsort

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Bei einem speziellen Angebot der Evangelischen Akademie Tutzing lernen junge Instrumentalisten nicht nur, ihre Spieltechnik zu verbessern. Sie erfahren auch Wertvolles für ihr Leben

Von Ute Pröttel, Tutzing

Vollkommen unprätentiös sitzt Stargeigerin Julia Fischer an einem der Tische im Restaurant der Evangelischen Akademie in Tutzing. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Das Restaurant ähnelt an diesem Abend eher einer Mensa. Draußen schneit es schon den ganzen Tag. Der traumhaft schöne Garten versinkt unter einer weißen Schneedecke. Zwischen Restaurant, Schloss und Festsaal verlaufen Trampelpfade. Auf ihnen sind viele junge Menschen unterwegs. Sie sind in warme Parkas gehüllt und tragen nicht selten riesige Tornister auf dem Rücken. Darin Violinen und Violoncelli. Jünger als in dieser ersten Januarwoche dürfte das Durchschnittsalter in der Akademie selten sein. Julia Fischer hat zu "Musikferien an den Starnberger See" eingeladen; rund sechzig Musiker sind ihrem Ruf gefolgt.

Die jüngste Teilnehmerin ist gerade einmal vier Jahre alt. Am weitesten her angereist ist eine junge Amerikanerin aus Boston. Die Zehnjährige nimmt teil an der Meisterklasse von Julia Fischer. Ihr Vater ist Profimusiker beim Boston Philharmonic Orchestra und ihr Weg in die Welt der Musik dürfte vorgezeichnet sein. Mit am Tisch von Julia Fischer an diesem zweiten Abend der Musiktage sitzt auch der Cellist Daniel Müller-Schott. Er gibt den zweiten Meisterkurs in diesen fünf Tagen am Starnberger See. Die beiden sind dort angekommen, wo einige ihrer Schützlinge auch hin wollen. Ganz weit oben.

Um in die Gunst eines Meisterkurses zu kommen, müssen sich die Schüler mit einem kurzen Video bewerben. Vier Aspiranten wählen die Profimusiker dann aus. Für den Unterricht bei Julia Fischer haben sich rund 20 Jugendliche beworben. Drei junge Musikerinnen im Alter von zehn, zwölf und 17 Jahren haben den Zuschlag bekommen, ebenso wie der 14-jährige Tassilo aus München. Paula Schweinberger ist überglücklich, dass sie es in die Meisterklasse von Daniel Müller-Schott geschafft hat. Er sei ihr großes Vorbild, erzählt die 17-Jährige. Sie höre auf CDs immer nur ihn und hätte nie für möglich gehalten, dass er einen Meisterkurs hier gibt. "Er ist ja viel in Amerika unterwegs", erzählt sie. Die 17-Jährige ist mit ihrer Zwillingsschwester Anna, die Klavier und Geige spielt, aus Burghausen an den Starnberger See gekommen und sie genießen die mit Musik gefüllten Tage einhellig. Neben dem Meisterkurs nimmt Paula auch noch Unterricht bei Anja Lechner, einer von sieben Dozenten, die Instrumentalkurse anbieten. "Einfach, um das Angebot optimal auszunutzen," sagt sie begeistert.

Beide Schwestern werden abends beim ersten Hauskonzert der Musikferien auftreten, was eine große Auszeichnung bedeutet. Im Laufe des Tages wählen die insgesamt elf Dozenten ein gutes Dutzend der Schüler aus, die abends im Festsaal der Akademie auftreten dürfen. Die Konzerte bilden den Abschluss des Tages, sie sind Belohnung und Motivation. Anna wird die ersten beiden Stücke der Kreisleriana von Schumann auf dem Klavier spielen, Paula den ersten Satz eines Cellokonzertes von Dvorak. Die Stücke hatten die beiden bereits im Gepäck. Von den Profis am Starnberger See bekommen sie nun wertvolle Tipps sowohl für Interpretation als auch Technik. Das Angebot, auch im Orchester zu spielen, haben die beiden allerdings ausgeschlagen. Sie nutzen die Zeit lieber, um für sich zu üben.

60 junge Musiker nehmen an dem Kurs teil, die Jüngste unter ihnen ist gerade einmal vier Jahre alt. (Foto: Georgine Treybal)

Ein Großteil des praktischen Unterrichts findet im nahe gelegenen Tutzinger Gymnasium statt. Rund zwanzig junge Streicher haben sich nachmittags unter der Leitung von Henri Bonamy in der Südaula des Gymnasiums versammelt, um L'Estro Armonico von Vivaldi zu proben. Der jugendliche Pianist und Dirigent leitet die Probe lässig und locker, wechselt zwischen Deutsch und Englisch hin und her und lässt die jungen Musiker auch zwischendurch miteinander ratschen. Dann fordert er wieder Konzentration auf Vivaldi, denn "deinen Vivaldi musst du oft spielen", weiß er. Das Orchester wird seinen großen Auftritt beim Abschlusskonzert im Festsaal der Akademie haben. Es soll den jungen Musikern vor allem die Möglichkeit geben, gemeinsam zu musizieren und dabei Freundschaften zu schließen.

Aus diesem Grund kommen auch die Brüder Nathan und Cyril Felicio, 13 und elf Jahre alt, immer wieder in die Musikferien. Sie sind bereits das fünfte Mal dabei und haben schon ein paar Freunde aus den Vorjahren wiedergetroffen, wohnen heuer allerdings nicht in der Akademie. Ihre Mutter bringt sie aus München und ist auch beim Klavierunterricht dabei. Sie schätzt die neuen Denkanstöße und die Stimmung unter den Kindern, die sich alle auf ein Konzert oder einen Wettbewerb vorbereiten. Trotzdem ist noch Zeit für eine Schneeballschlacht im Hof und ein Tischtennismatch nach dem Abendessen. Auf ihren Berufswunsch angesprochen, möchte der eine Medizin studieren und der andere Ingenieur werden, eine Laufbahn als Profimusiker streben die beiden nicht an. Sie wissen schon, dass sie beim Hauskonzert mitspielen dürfen. An diesem Abend geht es früh ins Bett. Sie sind müde - wie auch der neunjährige Frederik aus Gauting.

An diesem zweiten Abend ist er einfach nur platt. Bei seiner letzten Unterrichtsstunde gegen 18 Uhr ist seine Lehrerin mit seiner Leistung nicht zufrieden. Frederik spielt noch einen Can-Can und will dann schnell zu den anderen Jungs an die Tischtennisplatte im Hobbyraum. Er ist mit seiner Mama Udine Michel aus Gauting da. Die 46-Jährige gönnt sich die fünf Tage mit ihrem Ältesten in Tutzing, während ihr Mann mit dem jüngeren Bruder zu Hause geblieben ist. Sie will dem Sohn einen Blick in die Welt der Musik ermöglichen. Frederik ist keines der Kinder, die schon seit ihrem dritten Lebensjahr Musik machen. Er lernt erst seit zwei Jahren Klavier.

"Unser Anspruch ist nicht, dass die Kinder, die an den Musikferien teilnehmen, Profimusiker werden", fasst dies auch der organisatorische Leiter Clemens Vetter zusammen. "Wir wollen die Lust an der Musik wecken. Musik ist ein Wert und kann ein Refugium sein, in das man sich in jeder miserablen Zeit im Leben zurückziehen kann. Das ist es, was wir den Kindern vermitteln wollen."

Das Abschlusskonzert findet am Samstag, 7.Januar, um 15.30 Uhr im Festsaal der Evangelischen Akademie Tutzing statt. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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