Mitten in Wörthsee:Paragrafen zum Niederknien

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Satzungen sind staubtrocken? Ja, schon. Aber wer sie liest, kann schon mal richtig nostalgisch werden.

Kolumne von Christine Setzwein

Lesen gefährdet die Dummheit" ist so ein Spruch, der einem nie wieder aus dem Kopf geht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, ist auch schön. Oder der: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Das soll Berthold Brecht gesagt haben, aber sicher ist das nicht. Könnte auch ein Spontispruch aus den 1970er Jahren sein.

Lesen jedenfalls ist eine tolle Sache. Es gibt ja auch Bücher für jeden Geschmack. Krimis für die Hartgesottenen, Liebesromane für die Romantiker, Sachbücher für die Intellektuellen, Biografien für die Schlüssellochgucker und die Bibel für alle anderen. Nicht zu vergessen die mehr oder minder seriösen Zeitungen, die Prospekte der Discounter und der Flyer der SPD im Briefkasten.

Nur wenige Menschen kommen auf die Idee, freiwillig Satzungen zu lesen. Ein Fehler. So trocken deren Sprache auch ist, so Fantasie anregend können sie sein. Bei der Lektüre der Freibadeplatz-Satzung der Gemeinde Wörthsee aus dem Jahr 1985 zum Beispiel ist das Schwelgen in Erinnerungen inklusive. Damals nämlich wurde es verboten, mit harten Bällen, vor allem die aus Leder, auf der Liegewiese zu spielen. Ein spontanes Fußballmatch am Strand - aus und vorbei. Heute werden die Badegäste von modernen Sportgeräten wie aufblasbaren SUP's erschreckt, wenn mit lautem Zischen die Luft daraus entweicht.

Aber am schönsten ist Paragraf 3, Absatz 2, Nr. 4. Darin wird es den Besuchern untersagt, andere "insbesondere durch den Betrieb von Rundfunk- und Tonbandgeräten, Plattenspielern und Musikinstrumenten... zu belästigen". Ja, es gab tatsächlich einmal tragbare Kassettenrekorder und Plattenspieler. Kassetten mit einem braunen Band, das immer im ungünstigsten Moment riss und mühsam mit Tesafilm geflickt werden musste. Und wenn die Nadel des Plattenspielers stumpf war, tat es zur Not auch eine aufgebogene Büroklammer. Alles vorbei. Dieses Schicksal wird auch bald die Satzung vom 12. Oktober 1985 ereilen. Der Gemeinderat Wörthsee hat eine neue beschlossen, die am kommenden Montag in Kraft tritt.

© SZ vom 05.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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