Mitten in der Region:Kopfkino vor der Glotze

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So weit ist es also schon gekommen: Der Virologe sitzt im eigenen Kopf

Glosse von Benjamin EMonts

Am ersten Weihnachtsfeiertag lief im Fernsehen wieder "Bridget Jones - Schokolade zum Frühstück". Alle Jahre wieder sitzt die Familie dann versammelt im Wohnzimmer, bewaffnet mit Plätzchen, Bier oder Rotwein, um die altbewährte Romanze zu verschlingen. Die bezaubernde Bridget Jones (Renée Zellweger) lässt auf ihrer Suche nach einem Mann freundlicherweise kein Fettnäpfchen aus. Sie trägt schreckliche Unterhosen und hält peinliche Reden, die einfach nur wehtun. Es heißt dann: Fremdschämen und Mitfühlen.

Ein solch wohliges, vertrautes Filmerlebnis sollte das verdammte Virus aus dem Kopf doch vertreiben können, zumindest für 90 Minuten. Doch falsch gedacht, selbst beim Fernsehen sind die Hygieneregeln omnipräsent. Mit Grausen, ja voller Empörung registriert man, wie Bridgets Chef Daniel Cleaver (Hugh Grant), dieser Hallodri, sich in letzter Sekunde unmaskiert in einen gut besuchten Aufzug zwängt, um mit Bridget zu flirten. Später erdreistet sich der Schönling gar, sie zu umarmen, zu küssen und was man sonst noch so alles macht. Während die Liebenden ihren Spaß haben, zuckt der Zuschauer Zuhause zusammen.

So weit ist es schon gekommen. Herzliche Umarmungen, leidenschaftliche Küsse, wilde Partys, hemmungsloser Sex und gemeinsame Zigaretten in Filmen kommen einem befremdlich vor, weil der Virologe im eigenen Kopf sitzt. Wenn die Pandemie eines bewiesen hat, dann ist das die Anpassungsfähigkeit der Menschen. Am Anfang dieses so einzigartigen Jahres hielt man Maskenträger noch für paranoide Freaks. Heute aber kommt es einem so vor, als würde man einem Ungeheuer begegnen, wenn einer im Supermarkt ohne Maske rumläuft.

Dass im Kopf die Corona-Polizei regiert, ist völlig normal. Evolutionsbedingt ist der Mensch darauf ausgelegt, Gefahren zu ermitteln: Wenn eine Bedrohung lauert, muss unser Hirn das schnellstmöglich verarbeiten, damit wir rechtzeitig fliehen können. Im Dezember 2020 stellen diese Gefahren auch Liebhaber dar, die das Virus womöglich in sich tragen. Hoffentlich hat sich Bridget nichts eingefangen bei ihrem Flirt.

© SZ vom 31.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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