Mitten im Landkreis:Mismatch am Chips-Regal

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Über die Tücken, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

Glosse von Alexander Kappen

Das Phänomen ist ja bekannt. Wenn man sich beim Essen mal so richtig die Klamotten einsaut, dann passiert das stets morgens. Wenn das Hemd ganz frisch und man auf dem Weg zur Arbeit eh schon spät dran ist. Niemals geschieht so etwas natürlich am Abend, wenn der Tag im Prinzip gelaufen ist und die getragene Kleidung gedanklich schon in der Schmutzwäschetonne liegt.

Oder die Schneeschaufel. Die steht Wochen und Monate lang griffbereit vor der Haustür. Und der Winter dreht einem eine lange Nase, kommt maximal mit ein paar Regenschauern oder Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt ums Eck. Packt man die Schaufel, über die man in all der Zeit bereits sieben bis elf Mal gestolpert ist, dann mangels eines sinnvollen Betätigungsfeldes weg und verstaut sie im Sommerdepot im Keller, dann beginnt es draußen maximal ein bis zwei Tage später garantiert zu schneien, was das Zeug hält. Gut, zumindest die Älteren werden sich erinnern, dass das früher mal so war, als man hier im Landkreis noch aus eigener Erfahrung wusste, wie Schnee ausschaut, und ihn nicht nur von Ski-Übertragungen im Fernsehen kannte.

Ach ja, und dann ist da natürlich die Supermarktkasse. Hat man aus unerfindlichen Gründen mal Glück und kann sich dort einreihen, wo sich statt einer Schlange nur noch ein einziger Kunde vor einem befindet, dann gibt es just in diesem Moment einen Schichtwechsel. Die routinierte, schnelle Kassiererin räumt ihren Platz, den sodann ein Lehrling zusammen mit seiner Ausbilderin übernimmt. Pflichtbewusst erklärt sie alles ganz detailliert und zur besseren Erläuterung liest sie den Strichcode auf jedem einzelnen Produkt laut vor, ehe dieses gemächlich über den Scanner gezogen wird.

Apropos Supermarkt. Dort ist dieser Tage eine ganz besondere Variante einer misslichen Raum-Zeit-Konstellation zu beobachten. Liegen dort doch glatt Chipstüten zum Kampfpreis von je 99 Cent im Regal, die im Prospekt als um sage und schreibe 50 Prozent reduziert angepriesen werden! Hallo!? Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit, in der als Nahrungsmittel einzig und allein Starkbier moralisch vertretbar ist.

Kalorienreiche Kartoffelchips in dieser Zeit zum halben Preis unters Volk zu werfen, das ist das, was man im Basketball als "Mismatch" bezeichnet, wenn also zwei größenmäßig gravierend unterschiedliche Spieler in einem Zweikampf aufeinandertreffen. Nichts anderes ist das nämlich, wenn unsere fastenzeitliche Disziplin und Verzichtbereitschaft mit den Verlockungen einer Halber-Preis-voller-Geschmack-Chipstüte am Supermarkt-Regal ins direkte Duell geht. Ein Mismatch! Oder man ist einfach zur falschen Zeit am falschen Ort

© SZ vom 06.03.2023 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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