Messie:Essensreste, Dreckwäsche, faulige Gerüche

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Deutschlands erste "Messie-Akademie" in Gauting hat zu ihrem ersten Jahrestag eine Messie-Wohnung nachgebaut. Das konsequente Vermüllen der eigenen Wohnung ist keine Krankheit, oft aber Ausdruck einer psychischen Störung

Von Blanche Mamer, Gauting

Es riecht muffig, aus der linken Ecke weht es etwas faulig, die Luft ist abgestanden, die Atmosphäre sehr erdrückend. Doch das alles ist gar nichts im Vergleich zum Gestank, der aus einer realen Messie-Wohnung dringt, erklärt Messie-Helfer Michael Schröter. Er hat vor einem Jahr in seiner Galerie am Gautinger Hauptplatz die erste "Messie-Akademie" in Deutschland gegründet. Und jetzt, zum ersten Jahrestag, haben drei Betroffene in einem Raum eine Messie-Wohnung nachgebaut.

Schröters Institut in den Geschäftsräumen im alten E-Werk dient einerseits dazu, Fachkräfte auszubilden, Seminare, Fortbildungen und Vorträge zum Thema Messie-Syndrom zu organisieren. Andererseits ist es eine Anlaufstelle für Menschen mit Vermüllungsproblemen, für Beratungsgespräche und gemeinsame Frühstückstreffen der Betroffenen. Dieses Angebot - jeweils um 10 Uhr an jedem letzten Samstag im Monat - werde gut angenommen, sagt Schröter. Es diene dem Kennenlernen, Gedankenaustausch und Gesprächen. Die Menschen kämen aus dem ganzen Münchner Umland. Mittlerweile gebe es sogar eine Fahrgemeinschaft von Betroffenen aus Nürnberg, die regelmäßig zum Frühstück nach Gauting kommen.

Ende September haben drei Betroffene eine Messie-Wohnung nachgebaut und mit ihrem "Material" vollgestopft: Zwischen Essensresten, Abfalltüten, Hausmüll, Altpapier, dreckigen Klamotten, aufgetürmten Kissen und Betten, kaputten Elektrogeräten und Kleinmöbeln vegetieren zwei Grünpflanzen vor sich hin. Der Boden ist verdreckt, Platz zum Gehen oder Sitzen gibt es nicht. Der Raum soll veranschaulichen, wie ein Messie lebt - sowohl bei Seminaren und Fortbildungen als auch, um die Öffentlichkeit auf die Problematik hinzuweisen. Einen Monat lang kann man sich das Ganze anschauen.

Konstruiertes Chaos: Drei Betroffene bildeten mit persönlichen Gegenständen mustergültig eine Messie-Wohnung zur Besichtigung nach. (Foto: Georgine Treybal)

Bis zu zweieinhalb Millionen Messies leben in Deutschland. Das ist keine offizielle Zahl, sondern eine Schätzung. Denn viele, die unter dem Syndrom leiden, outen sich nicht. Sie suchen erst dann Hilfe, wenn es gar nicht mehr anders geht: Wenn der Gestank aus vermüllten Wohnungen ins Treppenhaus dringt, die Nachbarn protestieren und der Vermieter die Wohnung sehen will. Dann ist das Team von Schröter gefragt. Drei bis vier Wohnungen, manchmal auch ein ganzes Haus, mistet er pro Monat zusammen mit seinen Mitarbeitern und Azubis aus. Das heißt nicht, dass der Betroffene geheilt ist. Aber er lebt doch eine Woche, einen Monat, manchmal auch zwei, in hygienischen Verhältnissen. Dem Problem auf den Grund zu kommen dauert viel länger und braucht Betreuer und Therapeuten, von denen es aber viel zu wenige gibt.

Doch wie wird das alles finanziert? Die ersten Gespräche und der erste Besuch in der Wohnung sind kostenlos, erklärt Schröter. Der Ablauf der Arbeit werde genau besprochen, der Aufwand kalkuliert: Aufräumen, entmüllen und putzen wird nach Wohnungsgröße und Aufwand berechnet. Ein Drittel der Betroffenen übernimmt die Kosten zwischen 2000 und 10 000 Euro selbst, bei etwa zwei Dritteln zahlt das Sozialamt oder der Bezirk. Das Messie-Syndrom ist nicht als Krankheit anerkannt, ist jedoch oft Ausdruck einer psychischen Störung oder einer schweren Depression. Auslösen kann sie ein Schicksalsschlag, ein Verlust oder eine ausweglose Situation wie Kündigung des Arbeitsplatzes oder Trennung vom Partner. Nicht selten komme der Kontakt zustande über ein Krankenhaus oder eine Sozialstation, auch über den sozialpsychiatrischen Dienst.

Vor einem Jahr hat Schröter, der lange bei der Caritas in Starnberg beschäftigt war und dort mit dem Problem konfrontiert wurde, in seinen Galerieräumen am Gautinger Hauptplatz die Messie-Akademie gegründet. Nun kämen Anfragen aus ganz Deutschland, sogar aus Österreich und der Schweiz. Nächste Woche hat Schröter einen Entmüllungsauftrag in Hamburg; begleiten wird ihn Jürgen Bonigut, einem 46-jährigen studierten Diplomingenieur in Holztechnik. Er ist der Erste, den Schröter zur Messie-Hilfe-Fachkraft ausgebildet hat.

Michael Schröter 2017 beim Aufräumen in einer Messie-Wohnung. (Foto: Georgine Treybal)

Acht weitere sind noch in Lehrzeit, sie zahlen 952 Euro. Der Großteil der Aufträge komme aus Städten, sagt Bonigut. In größeren Wohneinheiten mit anonymer Nachbarschaft gebe es mehr Messies als im ländlichen Bereich, wo man seinen Nachbarn kenne. Eine Ursache des Messie-Daseins ist Vereinzelung und soziale Verarmung. Diese verstärke sich durch eine krankhafte Sammelwut, oft können die Betroffenen niemanden mehr in die Wohnung lassen. Türen lassen sich kaum mehr öffnen, nur ein schmaler Korridor ist begehbar.

Wichtigste Maxime des Messie-Hilfe-Teams sind laut Schroeter Mitgefühl und Respekt. Er komme mit einem neutralen Fahrzeug und arbeite diskret; wenn ihn Nachbarn ansprechen, sagt er, dass er renoviere. "Jeder einzelne Fall liegt anders", weiß Schröer. Seine Gespräche mit Betroffenen hat er als Buch herausgebracht: "Messies - ein Versuch zu verstehen" ist übers Internet erhältlich.

Weitere Infos: www.Messie-hilfe-team.de oder Telefon 089/8757 9061

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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