Mein Tag:Barrieren wegräumen

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Es braucht manchmal nicht viel, um etwas mehr Sicherheit für Rollstuhlfahrer zu erreichen, findet Martina Ottmar. (Foto: Arlet Ulfers)

Martina Ottmar ist Gautings Inklusionsbeauftragte

Von Blanche Mamer, Gauting

Es braucht manchmal nicht viel, um etwas mehr Sicherheit für Rollstuhlfahrer zu erreichen. Man müsse nur genau hinsehen, findet Martina Ottmar, die Inklusionsbeauftragte der Gemeinde und Mitarbeiterin der Gautinger Insel. Seit Juli ist die 44-jährige Sozialpädagogin im Amt, sie ist die erste im Landkreis, die sich speziell mit den Problemen von behinderten Menschen befasst, die dazu gehören und teilhaben wollen. Im Rathaus Gauting beispielsweise kann der Fahrstuhl nicht erweitert werden. Ein Rollstuhl passt gerade so hinein, doch schwierig ist das Hinausfahren. "Ein Spiegel an der gegenüberliegenden Wand würde helfen", sagt Ottmar. Ein solcher soll montiert werden. Oder für gehbehinderte Menschen wäre es schon eine Erleichterung, wenn an den Treppen beidseitig grifffreundliche Handläufe wären.

Dass sie sich mit den Problemen von Menschen mit Handicap so gut auskennt, liegt auch daran, dass ihre älteste Tochter geistig behindert ist. Sie hat zwei weitere gesunde Kinder und weiß also, wie viel der selbstverständliche Umgang mit behinderten Menschen wert ist. Und erzählt eine kleine persönliche Geschichte: "Meine Tochter Lena war fünf und eine richtige kleine Wasserratte. Ich wollte sie zum Schwimmkurs anmelden und wollte dem Schwimmlehrer vorher erklären, dass sie manches nicht könne und Anfälle habe. Als junge Mutter hatte ich schon einige diskriminierende Erfahrungen gemacht. Doch der Schwimmmeister sagte, kommen Sie doch einfach mit dem Kind vorbei. Sollte es Probleme geben, melde er sich. Ich war sprachlos", berichtet Ottmar. Das Mädchen, dem man seine Behinderung nicht ansieht, machte zusammen mit seiner eineinhalb Jahre jüngeren Schwester, das Seepferdchen. Und schließlich sogar das Bronze-Abzeichen. Der Schwimmlehrer habe ihr gezeigt, dass Teilhabe ohne große Worte möglich sei, sagt Ottmar.

Ihre Tochter ist heute 22 Jahre alt und hat sich entschlossen, in ein Wohnheim der Lebenshilfe zu ziehen. Es sei für sie selbst nicht ganz einfach gewesen, loszulassen, gesteht die Inklusions-Beauftragte. Somit kennt sie auch den Part der "verlassenen Mutter" bestens, die in ein Loch fällt, wenn das ständige Kümmern nicht mehr nötig ist. Bei ihrer Arbeit gehe es vor allem darum, gegen die Barrieren in den Köpfen anzukämpfen, sagt sie. Die geistige Behinderung bei ihrer Tochter sei erst im Alter von fünf Jahren diagnostiziert worden. "Da war ist fast erleichtert. Denn endlich gab es einen Namen für das Verhalten meines Kindes", sagt sie. Da sie sehr jung und alleinerziehend war, sei sie oft auf Unverständnis gestoßen, zumal die geistige Behinderung des Kindes nicht offensichtlich war. Bei psychischen Erkrankungen glaubten die Angehörigen oft, dass sie etwas falsch gemacht hätten. Leider hätten viele Menschen nicht das Bewusstsein, wie man sich verhalten solle. Man solle immer zuerst fragen, rät sie. Ihr siebenjähriger Sohn helfe ganz selbstverständlich, er habe früh das Gefühl dafür entwickelt.

"Ich sehe mich als Vermittlerin zwischen Gemeinde und Bürgern", sagt die Sozialpädagogin. Sie bekomme viele Hinweise, wo etwas geändert werden müsse. Zum Beispiel der Zugang zur Bücherei oder zum Bahnhof. Eine andere Frage, die sie beschäftigt, sei, wie sich eine Behörde verändern müsse, damit sich die Menschen auch dahin wenden.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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