Marienmünsterkonzerte in Dießen:Traditionell bis exotisch

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Die Schweizer Sopranistin Bettina Gfeller tritt bereits zum dritten Mal bei Marienmünsterkonzerten auf. (Foto: Arlet Ulfers)

Stephan Ronkov und Bettina Gfeller widmen sich Orffs frühen Liedern

Von Reinhard Palmer, Dießen

Die Sammlung "Die frühen Lieder" von Carl Orff gewährt spannende Einblicke in die Entwicklung des Komponisten. Die ersten Lieder schrieb er bereits mit 16 Jahren im Stil seiner romantischen Vorbilder; sie sind zwar explizit für Klavierbegleitung gedacht, doch Dießens Kirchenmusiker Stephan Ronkov arbeitete mit Hinzunahme des Pedalwerks einen kammermusikalischen Orgelpart aus. Auch an der klanglichen Ausgestaltung musste Ronkov tüfteln, denn zumindest für den späteren Orff sind bestimmte Färbungen ein von seiner Stilistik nicht zu trennender Bestandteil. Die Schweizer Sopranistin Bettina Gfeller, die bereits zum dritten Mal bei Marienmünsterkonzerten auftrat, brachte indes für die Orff-Lieder genau das nötige Material mit: Dunkles Timbre, weiter Tonumfang, substanzvolle Tiefen und warmtonigen Höhen sind auch die ideale Ausstattung für Richard Strauss und Mahler, die den Liedkomponisten des 20. Jahrhunderts den Weg gewiesen haben.

Auch Orff hatte sie studiert und seine Erkenntnisse in seinem Frühwerk verarbeitet. "Schlaflied für Mirijam", "Immer leiser wird mein Schlummer" oder "Zwiegespräch" etwa sind die Lieder, die sich tradierten Ansätzen noch mit weiten melodischen Linien zuwenden. Darin tauchen aber schon repetitive Elemente auf, Motivwiederholungen und Passagen monotonen Spannungsaufbaus. Der Begleitpart - stark zerklüftet und fragmentiert - geht in diesen Liedern einen eigenen Weg, den Ronkov mit der Gesangsstimme zu einer Einheit zu führen bemüht war. Mit den begrenzten Möglichkeiten der plastisch-dynamischen Modellierung an der Orgel ist dies ein schwieriges Unterfangen. Dennoch gelang es Ronkov, mit ausgeklügelter Registrierung ein einheitliches Klangszenario zu kreieren.

Selbst wenn etwa in "Bitte" nach Lenau eine tonale Befreiung mit Chromatik stattfand, ist für Orff weniger die Atonalität stilprägend, als die besondere Art mit Texten umzugehen: Sie waren offenbar schon für den jungen Komponisten nicht nur Träger von verbal ausformulierten Inhalten, sondern auch musikalische Elemente mit Melodie, Rhythmus, Tonfall und Klang. In "Ein Liebeslied" nach Werfel hielten spezifische Intervalle Einzug in die Vertonung, um in Motivwiederholungen musikalische Wirkung zu erzeugen. Für Ronkov bedeutete dies eine gewisse Erleichterung, denn so ging es um Klangbilder, die sich von tradierten Hörgewohnheiten entfernten und daher freier, bisweilen fast exotisch gestaltet werden konnten. Das neunstrophige "Mondlied eines Mädchens" nach Werfel mutete zu Beginn geradezu fernöstlich an. Man kann zugleich aber auch von einer Abstraktion sprechen - vor allem im Gesangspart, den Gfeller nun den Stimmungen entsprechend einem weiten dramaturgischen Bogen unterzog: weniger melodiös ausgesungen als vielmehr in Varianten einer deklamatorischen Diktion, die bisweilen streng monoton und rezitativisch daherkam. Es war ein feinsinniges Changieren ohne spektakuläre Ereignisse, erst der Schlusssatz kam groß raus.

Dass sich Orff Werfels "Litanei eines Kranken" angenommen hatte, war sicher kein Zufall. Das Gedicht entspricht geradezu ideal der rhythmischen Sprachgestaltung, die Orff direkt in seine Deklamation übertragen konnte. Eine Steigerung erfolgte nur durch Intensivierung des Vortrags und Vergrößerung der Intervalle, was Gfeller treffsicher interpretierte. Diesem Modell folgte Orff auch in den beiden letzten Werfel-Liedern, wobei im abschließenden "Der gute Mensch" Gfeller beim Erklimmen höchster Höhen noch mal mächtig gefordert war, bevor Ronkov mit einem strahlenden Nachspiel einen beeindruckenden Schlusspunkt setzte.

© SZ vom 24.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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