Literatur im Pfaffenwinkel:Bruchpilot

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Als "misstrauischen, spröden Knochen" sieht sich Halmer selbst. (Foto: Nila Thiel)

Der Schauspieler Günther Maria Halmer stellt in Herrsching seine Autobiografie vor

Von Armin Greune, Herrsching

"Literatur im Pfaffenwinkel" ist die neue fünfteilige Reihe überschrieben, mit der Thomas Kraft Leser ansprechen will. Zumindest am Mittwochabend war das Vorhaben des Herrschinger Autors, Kritikers und Kulturmanagers von Erfolg gekrönt: Das Kurparkschlösschen - das Kraft als Vorstand im örtlichen Kulturverein regelmäßig bespielen lässt - war restlos ausverkauft. Auf dem Podium saß der inzwischen 74-jährige Charakterdarsteller und TV-Schauspieler Günther Maria Halmer, der für eine ganze Generation Bayern als "Tscharlie" in Helmut Dietls Kultserie "Münchner Geschichten" zur Ikone wurde. Seine Autobiografie "Fliegen kann jeder" ist im April erschienen. Was er daraus in Herrsching vortrug, ließ ihn vielleicht nicht als Literaten erscheinen. Doch die Lesung offenbarte flüssig und pointiert erzählte Unterhaltungslektüre, die nur an wenigen Stellen ein wenig zu weitschweifig geriet.

Wer freilich erwartet hatte, dass "der misstrauische spröde Knochen, der ich heute noch bin" aus dem Nähkästchen plauderte, wie er mit Dietl den Mikrokosmos aus skurrilen und dennoch authentischen Typen im Lehel entwickelt hat, wurde enttäuscht. Ebenso alle, die auf virtuelle Begegnungen mit Therese Giehse und Peter Stein warteten oder die der Glamoureffekt von Stars wie Ben Kingsley und Meryl Streep anlockte, mit denen Halmer gedreht hat. Auch blieb unerwähnt, welche Ansprüche die Regisseure Robert Attenborough und Alan J. Pakula an die Arbeit ihrer Schauspieler stellten. Stattdessen schilderte Halmer detailliert, wie er mit Anfang 20 18 Monate lang in einer Asbestmine in Nordwest-Kanada malochte.

Die Lesung endete etwa in der Hälfte des 384-seitigen Buchs - und damit genau wieder dort, wo sie begann. Im Prolog sieht sich der Erzähler im März 1967 vor der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in der Maximilianstraße, um ein "Gottesurteil" einzuholen: "War ich begabt für die Schauspielerei oder war das wieder nur ein Spleen von mir, wie mein Vater glaubte?" Bis dahin war sein Lebensweg "gepflastert mit Niederlagen", gefördert durch die "alttestamentarische Erziehung" des "sehr katholischen" Vaters.

Das Fliegen im Buchtitel, so wird im Lauf des gut zweistündigen, von einer Pause unterbrochenen Vortrags klar, ist in diesem Fall keine Eroberung des Luftraums. Sondern immer wiederkehrende Abstürze: Halmer fällt im Gymnasium durch, scheitert beim Vorstellungsgespräch in der Bank und fliegt aus diversen Jobs, bevor sich auch nur ansatzweise eine Karriere abzeichnet. Natürlich endet auch die anvisierte Pilotenausbildung bei der Bundeswehr mit dem Urteil, er sei "unbrauchbar als Soldat". Große Heiterkeit erntet der Autor etwa, als er das singende Befehlsgebelle des Unteroffiziers nachahmt. Aber auch gegen Ende der Lesung, als er beim Vorsprechen in der Schauspielschule Shakespeares "Julius Cäsar" runterleiert und -nuschelt, kommt Halmers schauspielerisches Talent paradoxerweise glänzend zur Geltung und das Publikum bricht in lautes Gelächter aus.

Allerdings war es dann rasch mit der Kondition am Ende - während der 74-Jährige wohl noch endlos weiter plaudern hätte können. Je weiter der Abend fortschritt, desto weniger las Halmer vor, sondern erzählte lieber frei den Inhalt, während er von vorn nach hinten durch die Seiten blätterte. Etwas mehr konzeptionelle Vorbereitung hätte für die Lesung sicher nicht geschadet. Aber so kam auf die zweite Nachfrage, ob es nun genug sei, nur eindeutige Zustimmung von den Rängen. "Hör ma auf, geh ma heim", stimmte Halmer zu.

Und das, obwohl die in der Vorsprech-Szene geschickt aufgebaute Spannung ohne Auflösung blieb. "Nie hatte ich mich so armselig und verwundbar gefühlt", fasste Halmer zusammen. Die Lesung endete damit, dass er nach der Prüfung in die Szenekneipe "Kulisse" stolperte - in der absoluten Gewissheit, abermals gescheitert zu sein. Wikipedia weiß es besser: Halmer gehörte zu den drei Prozent Bewerber, die an der Schule angenommen wurden. Es folgten Engagements an den Kammerspielen und 1974 der Durchbruch mit Dietl. "Es geht heute um die Wirrnisse, sich selbst und seinen Beruf zu finden", hatte Halmer zu Beginn in Herrsching erklärt. Und dabei wurde deutlich, wie viel von seiner eigenen Jugend und Adoleszenz im "Tscharlie" steckt.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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