Lesung:Nussbaumsplitter

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Nachzügler mussten abgewiesen werden: Katja Huber und Sebastian Goy (von links) füllten die Buchhandlung CoLibri bis zur letzten Sitzgelegenheit. (Foto: Georgine Treybal)

Sebastian Goy und Katja Huber präsentieren in Dießen sehr unterschiedliche, aber stets raffinierte Texte

Von Armin Greune, Dießen

Ein vielschichtiger Roman und facettenreiche Lyrik: Mit einer Doppellesung haben die Autoren Katja Huber und Sebastian Goy die neue Buchhandlung "CoLibri" am Montagabend bis weit über den letzten Sitzplatz hinaus gefüllt. Huber, in Dießen aufgewachsen, lebt und arbeitet nun als Rundfunkjournalistin und Schriftstellerin in München. Sie stellte ihren fünften Roman "Unterm Nussbaum" vor. Ihr Vater Sebastian Goy kam 1957 erstmals nach Dießen, lebt seit 1991 ständig dort und bereichert das örtliche Kulturleben etwa mit der Veranstaltungsreihe "Goys letzte Montage". Mit seinen Hörspielen ist er deutschlandweit bekannt geworden.

Er eröffnete den Abend mit dem passenden Gedicht "Eine Tochter ist eine Tochter ist eine Tochter (...ist eine andere als die Närrin unterm Lindenbaume)" und präsentierte originelle Lyrik zwischen Wilhelm Busch und Dada, voller surrealistischer Bilder und genialer Metaphern. Immer für eine überraschende Wendung gut, unterlief Goy schon zu Beginn die Erwartung der Zuhörer, ausschließlich Lyrik zu rezitieren: Seine skurrile Geschichte um "Phillips Lieblingsbuch" richtete sich ebenso an Kinder wie fantasiebegabte Erwachsene. Im weiteren Verlauf trug er etwa die drollige Moritat vom "Mund des Manns im Mond" vor und schloss mit einem rasend komischen Beipackzettel, der zu allen Lebenslagen empfahl, den Apotheker aufzusuchen.

Katja Huber wählte vier Passagen aus "Unterm Nussbaum" aus, die Lebensstationen ihres Protagonisten Benjamin wiedergaben: von der ersten Begegnung mit der künftigen Mutter seines Sohns Fadi während des Olympia-Attentats in München bis zur Rückkehr nach Dießen, wo er in den Sommerferien mit dem nun zehnjährigen Fadi im Gasthof Drei Rosen Leberknödelsuppe löffelt - vor allem aber in der braunen Historie der bereits 1930 als "Hochburg des Nationalsozialismus'" bekannten Gemeinde stochert. In diesen Fragmenten wurde eine komplexe Familiengeschichte sichtbar, die auf verschiedenen zeitlichen Ebenen und partiell am Ammersee spielt und in der die Schatten einer verdrängten Vergangenheit allmählich in den Vordergrund treten. Auch war zu erkennen, dass Huber das Talent ihres Vaters zu Sprachwitz, präziser Wortwahl, fundierten philosophischen Gedanken und unerwarteten Brüchen teilt.

Leider aber war das strukturelle Konzept der Lesung zumindest aus Sicht des Zuhörers verfehlt. Der Wechsel zwischen Roman und Gedichten erwies sich als zusammenhanglos, die Texte beraubten sich gegenseitig der Wirkung. Kaum war das Publikum im Roman gefangen, musste es sich wieder auf eher abstrakte Lyrik einstellen. Und wenn dann die Aufmerksamkeit für die subtilen oder brachialen Pointen der Verse geschärft war und endlich an den richtigen Stellen gelacht wurde, ging es zurück unter den Nussbaum. Freilich muss auch festgestellt werden, dass sowohl Goy als auch Huber keine großartigen Vorleser sind: Mangelnde Artikulation, Modulation und schlechtes Timing ließen so manche Pointe wirkungslos verpuffen. Man darf getrost davon ausgehen, dass den beiden Autoren dieses Manko bewusst ist: Sie präsentieren ihre Texte eher selten öffentlich, die Lesung in Dießen ist vor allem als Freundschaftsdienst für die neuen Buchladeninhaber zu verstehen. Schon der gewaltige Publikumszuspruch beweist, dass dies gelungen ist. Und ja, die Neugierde ist geweckt: Demnächst muss "Unterm Nussbaum" unbedingt im Ganzen gelesen werden!

© SZ vom 31.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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