Lesung:Die Sucht nach der Musik

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"Das ganze schrecklich schöne Leben", heißt die jüngste Biografie von Konstantin Wecker, aus der er im Weßlinger Pfarrstadl liest. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Musiker, Liedermacher und Autor Konstantin Wecker liest im Weßlinger Pfarrstadl aus seiner Biografie

Von Ute Pröttel, Weßling

Als sein Vater ihn das erste Mal im Knast besuchte, Konstantin Wecker war da gerade 19 Jahre alt und hatte die Kasse der Trabrennbahn Daglfing geklaut, um sich sein Künstlerdasein zu finanzieren, sagte er zu ihm: "Konstantin, zwischen Verbrecher und Künstler ist nur ein kleiner Unterschied. Aber zum Verbrecher scheinst du ja nicht zu taugen." Er habe sich damals unendlich geschämt, seinen Eltern diesen Besuch antun zu müssen, erzählt der heute 71-Jährige Musiker und Liedermacher als er am Freitagabend im Pfarrstadl Weßling aus seiner Biografie "Das ganze schrecklich schöne Leben" liest. Zur Lesung eingeladen hatte der Weßlinger Kulturverein Unser Dorf.

Es ist nicht das erste Buch, das der Münchner über seine Vita veröffentlicht, aber: "Meine Biografie verändert sich ja auch ständig", gibt Wecker unumwunden zu. Das Publikum im vollbesetzten Saal lacht verständig. Ein jeder hat seine eigene Geschichte, die ihn mit dem Künstler verbindet. Seien es Lieder wie "Genug ist nicht genug" oder "Willy", die Schlagzeilen um seine Drogensucht, die Musik zur Fernsehserie Kir Royal oder das Musical Ludwig 2, Auftritte des jungen muskelgestählten Wecker in dem ein oder anderen Softporno oder sein politisches Engagement gegen Rechts. Weckers Leben bietet ausreichend Stoff. Mit den Höhen und Tiefen geht der Künstler sehr offen um. Amüsiert erzählt er wie er sein Buch "Uferlos", in dem er über seine Kokainsucht schreibt, leichtgläubig als Roman "kaschiert" veröffentlichte. "Ich befürchtete strafrechtliche Konsequenzen. . ." Und als er dann später wirklich wegen Drogenbesitzes verhaftet vor dem Staatsanwalt saß, behielt dieser Wecker mit Verweis auf das Buch in Untersuchungshaft. Die Fluchtgefahr begründete er mit der Figur in Weckers Roman, die sich schließlich auch nach New York abgesetzt hätte. Es war der Wendepunkt in seinem Leben.

Vieles würde er heute anders schreiben, weil er es heute anders sieht, begründet Wecker das Erscheinen seiner jüngsten Biografie. Außerdem habe er sie gar nicht alleine geschrieben, sondern mit Günter Bauch und Roland Rottenfußer zwei Mitautoren gefunden, die zur Objektivität beitragen sollten: "Der Mensch neigt ja dazu, sich zu beschönigen. Freunde sind dazu da, einem klar zu machen, dass man gar nicht so toll ist."

Wecker sitzt an einem hellen Holztisch auf der erhöhten Bühne. Blättert in seinem Leseexemplar vor und zurück. Neben ihm ein verhüllter Flügel. Er liest von dem Moment, da er just im Gefängnis das Gefühl absoluter Freiheit erlebte. Von der tiefen Dankbarkeit für seine Eltern, die immer zu ihm gehalten hätten. Er erzählt von der Erfahrung, wie eine Filmuniform ihn zum hemmungslosen Faschisten machte, und er reflektiert über das Zusammentreffen mit einer balinesischen Kröte in einer tropischen Nacht.

Wecker ist ein Wortkünstler - gesungen wie gesprochen. Und sein Wort hat heute Gewicht. Er positioniert sich klar gegen die AfD "Gauland muss weg". Doch seine eigentliche Sehnsucht gilt dem Konzertieren. Seit 40 Jahren führt er dieses unstete Leben. "Tagsüber mehr Beifahrer als Künstler", so beschreibt er es. Und wofür? "Für diesen kurzen Augenblick der Stille nach einem Lied."

Und dann klappt Wecker das Buch zu, springt auf, blickt zum Flügel. "Und jetzt, jetzt spiele ich euch noch was." Er deckt das Instrument gar nicht ganz ab, greift in die Tasten, singt: "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" und "Auf der Suche nach dem Wunderbaren".

Wie schön, dass er die Sucht nach der Musik nie besiegen wird.

© SZ vom 18.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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