Kulturpreis:Die Orgelflüsterin

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Kombiniert die Orgel gern mit anderen Instrumenten: Helene von Rechenberg mit ihrer Schülerin Lea Höndgen. (Foto: Arlet Ulfers)

Tutzing zeichnet die Kirchenmusikerin Helene von Rechenberg aus

Von Gerhard Summer, Tutzing

Wenn sich eine Gemeinde dazu entschließt, ihre Kirchenmusikerin zu ehren, stehen die Verdienste der Organistin im Vordergrund, vielleicht noch die Auszeichnung selbst. Aber ihr Outfit? So ist es natürlich auch bei Helene von Rechenberg: Sie erhält am kommenden Dienstag den mit 2000 Euro dotierten Tutzinger Kulturpreis, der nach dem Kulturhistoriker und Schriftsteller Wilhelm Hausenstein benannt ist. Und trotzdem muss man vielleicht zuerst sagen, was die 44-jährige Münchnerin zur Feier tragen wird: ein schwarzes Baumwollkleid.

Das Stück hat ihre Schwester Kathrin von Rechenberg entworfen. Die Modeschöpferin studierte in Paris und lebt in Peking. Die Vorliebe für traditionelle chinesische Teeseide und asiatische Schnittformen prägt ihre Entwürfe. Dass Helene von Rechenberg ihr den Gefallen tut und am Dienstag in das Designer-Kleid schlüpft, ist womöglich typisch für sie. Denn ihre Familie hat ihren Lebensweg immer mal wieder mitbestimmt.

Ihr Vater, ein großer Verehrer von Johann Sebastian Bach, nahm die elfjährige Helene zu den Konzerten im Bachjahr 1985 mit. Letztlicht war er es, der sie darauf brachte, Orgel zu lernen. Unterricht hatte sie damals bei Gustav Seiler, dem Kantor der Stephanuskirche in Neuhausen, deren Marmoraltar ihr Großvater, ein Bildhauer, gefertigt hatte. Die spätere Klemens-Schnorr-Schülerin studierte Kirchenmusik und das Konzertfach Orgel in Freiburg und Wien. Von 2005 bis 2009 war sie Domorganistin in St. Pölten, lehrte am Konservatorium für Kirchenmusik in Wien und begleitete in Heiligenkreuz im Wienerwald den gregorianischen Gesang der Mönche. Dass sie zurückkehrte nach Bayern, hatte familiäre Gründe. Zum einen wollte sie sich 2009 nach dem Tod ihres Vaters um die Mutter kümmern, ihre Schwester hatte sich schon nach China aufgemacht. Zum anderen lernte sie ihren späteren Mann kennen, ein Physiker, der zu jener Zeit in München lebte.

Die Wahl fiel auf Tutzing - allerdings "mit etwas Bauchschmerzen", wie die Organistin sagt. "Ich liebe nämlich Wien, und hatte dort auch schon ein Standing, das ich mir in Tutzing erst wieder erarbeiten musste." Als Kirchenmusikerin mit 20-Stunden-Stelle ist Rechenberg fast schon Mädchen für alles in der kleinen Gemeinde: Sie kümmert sich um die vier Tutzinger Orgeln in St. Joseph, St. Peter und Paul und auf der Ilkahöhe, vor allem natürlich um das 1985 gebaute, große Sandtner-Instrument in der Tutzinger Pfarrkirche. "Das ist meine Orgel, ich weiß, wie es ihr geht - sie ist nicht launisch, sondern unglaublich zuverlässig." Gerade im Winter muss sie etliche Orgelpfeifen stimmen. Keine angenehme Arbeit, weil die sogenannten Zungen, schwingende Plättchen, aus Zink und Blei gefertigt seien.

Sie ist bei Gottesdiensten, Beerdigungen, Taufen und Hochzeiten für die Begleitung zuständig. Sie leitet einen 40-köpfigen Chor, den sie vor neun Jahren übernahm. Und sie stemmt Großprojekte wie die Aufführung des Brahms- und des Fauré-Requiems, des Weihnachtsoratoriums von Bach und der Marienvesper von Monteverdi mit Orchestern, die sie aus Laien und Profis zusammenstellt. Sie selbst gibt an die 15 Konzerte im Jahr, sechs bis sieben davon in Tutzing. Und einen großen Teil ihrer Zeit verwende sie auf die Arbeit mit Kinderchören. Für Juli 2019 ist ein Tabaluga-Musical mit den Nachwuchssängern geplant. Ob der Drachenerfinder und Deutschrocker Peter Maffay vielleicht selbst mitmacht, "darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen", sagt Rechenberg. Nebenbei hat die junge Frau noch 2017 die Sommerakademie Pro-Barock erfunden, die sie sozusagen freiberuflich und gemeinsam mit Anjes Blanche Marc (Flöte) und Eva-Maria Röll (Geige) leitet. Etwa 20 begeisterte Amateurmusiker nahmen heuer an dem Kursus teil.

Als Dirigentin mag sie bei der romantischen Literatur getragene Tempi. Barockmusik müsse nicht rasend schnell sein, aber natürlich Esprit haben. Was Streicher und Bläser betrifft, gibt sie historischen Instrumenten oder deren Nachbauten den Vorzug. Die Darmsaiten machten den Hauptunterschied, sagt Rechenberg: Geigen und Celli klängen damit zwar leiser, aber auch silbriger und wärmer als moderne Instrumente. Bei Naturtrompeten sei der Ansatz entscheidend, es gibt weder Ventile noch Klappen. Was die Organistin, die Hunderte von Werken im Repertoire hat, darunter den fast kompletten Bach, besonders an ihrem Beruf schätzt? "Dass man gestalten kann", sagt die baldige Preisträgerin. " Und das Dirigieren macht mir Spaß".

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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