Der Lyrikstier hat den Sprung von seiner kultig-heimeligen Wohnzimmer-Atmosphäre im Hochstadter Gasthof Schuster auf die große Bühne des Gautinger Bosco geschafft - und nicht nur das. Der Wechsel ist dem Wettstreit der Poeten gut bekommen. Es ist schon ein Unterschied, ob man seine selbstgeschriebenen Gedichte vor einem Publikum aufsagt, das quasi direkt vor der Nase sitzt, oder ob man im Halbdunkel auf einer Bühne steht und eine gewisse Distanz bis zur ersten Zuschauerreihe herrscht. Den Interpreten ist es leichter gefallen frei zu sprechen und aus sich herauszugehen - die gute Akustik im Bosco hat den Worten dann noch zusätzliches Gewicht verliehen.
Auch für die Besucher, die an dem charmanten Gaststätten-Flair hingen, war der Wechsel ein Gewinn. Der Saal war stets bis zum "Geht-nicht-mehr" vollgesteckt - trotzdem mussten viele Interessenten abgewiesen werden. Im gut belüfteten Bosco hätten sogar noch fünf Karten verkauft werden können, sagte Initiator Anton G. Leitner.
Aber nun zum Wettbewerb. 26 Teilnehmer waren in diesem Jahr angereist, um in der vorangehenden Dichter-Werkstatt mit den Mentoren Anton G. Leitner und Sabine Zaplin an ihrem Gedicht und an der Vortragsweise zu feilen. Das Thema lautete "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe". Die Spannbreite reichte von der 16-jährigen Anna Münkel aus Zankenhausen bis zur 79-jährigen Uta Regoli. Sie ist eine der treuesten Workshop-Teilnehmerinnen und kommt deswegen alljährlich aus Kanada angereist. In diesem Jahr bekam sie für ihr Gedicht "Saint Benoît du Lac (Benediktinerkloster in Quebec)" den Teilnehmer-Preis, einen von drei Stierskulpturen. "Große Stille, traurige Gesänge, ennuie grégorienne, doch da ist Frieden, der nötige Frieden, der grüne Frieden und ich beuge mich vor dem Streben Gott nah zu sein ..." so beginnen ihre Zeilen, die sie mit französischen Einwürfen versetzt hatte. "Das ist mein zweiter Stier", jubelte Regoli.
Leni Gwinner, die Gewinnerin des Publikumspreises, war zum dritten Mal beim "Lyrikstier" dabei. Ihre Gedichte kamen immer sehr gut an. Einen dritten und einen zweiten Platz hat sie bereits. Fehlte noch der erste in ihrer Sammlung. "Ich schreibe über Dinge und vermenschliche sie", erklärte die Herrschingerin. Ihr Gedicht "Adieu mein Gartenschlauch" über das Liebesstreben zweier Gartenschläuche zeichnete sich durch Wortwitz und ungewöhnliche Bilder aus.
Der Jury hat das Gedicht "Zitroneneis" von Karsten Paul am besten gefallen. Zum zweiten Mal hat sich Paul beim Literatenwettstreit der Kritik gestellt. Vor vier Jahren hatte Paul bereits den Publikumspreis bekommen. Im normalen Leben steht er als Dozent für Wirtschaftspsychologie an der Uni Nürnberg vor Studenten. "Meine große Leidenschaft ist Lyrik", verriet er. Die Jury lobte die Fülle der Bilder, die wie ein Kurzfilm vorbeiliefen ("die allerletzte Hitzewelle hatte sich in den Oktober verirrt, gebräunte Haut die mit Herbstlaub harmonierte, eilige Rennräder auf der Flucht vor dem früheren Abend, sogar eine Sonnenbrille war noch chic und stöckelte erhaben an uns vorüber" ...). Der Sonderpreis ging an Wolf-Dieter Grengel (Ingelheim).
Natürlich nutzten die Mentoren und die Juroren, die Turmschreiber Melanie Arzenheimer, Wolfgang Oppler und Norbert Göttler sowie der Lyriker Georg "Grög!" Eggers die Gelegenheit, um eigene Gedichte vorzutragen. Highlight war Eggers, dessen humorvolle Betrachtungen eines depressiven "Krokodils im Nil" kein Auge trocken ließen. Es war aber auch zu komisch wie er den nöligen Tonfall des gefrusteten Krokodils nachahmte, gestikulierte, schrie und jammerte, um dann wieder effektvoll in Stille zu versinken.
"Der Stier hat mein Leben verändert", sagte Melanie Arzenheimer. Sie war die Gewinnerin des allerersten Stiers vor zehn Jahren und ist seitdem "gedichtsüchtig", wie die Journalistin und Poetin gestand. Ihre Sucht kann sie im nächsten Jahr beim 11. Lyrikstier befriedigen. Der findet wieder im Bosco statt.