Kultur:Einblicke hinter die Kunst

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Ausgehend von Werken aus der Penzberger Sammlung Campendonk befassen sich Forscher mit Hinterglasmalerei und bewerten ihren Stellenwert neu

Von ALEXANDRA VECCHIATO

Es macht Farben leuchten und Wände durchsichtig. Glas, der fragile Werkstoff, fasziniert Künstler und Architekten. In der Kunstgeschichte spielt die Hinterglasmalerei indes eine untergeordnete Rolle. Dass es sich dabei nicht um ein Randphänomen, sondern eine eigenständige Werkgruppe handelt, belegt ein interdisziplinäres Forschungsprojekt: Kunsthistoriker, Restauratoren und Naturwissenschaftlern haben dreieinhalb Jahre lang die Hinterglasmalerei der Klassischen Moderne untersucht. Ausgangspunkt des Projekts ist das Museum Penzberg - Sammlung Campendonk. Museumschefin Diana Oesterle ist zugleich Projektleiterin.

Noch arbeitet sie an ihrer Dissertation zum Thema. Sie soll bis zum Sommer 2020 abgeschlossen sein, wenn die Ergebnisse des Forschungsprojekts in einer Ausstellung im Penzberger Museum der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In die Einsamkeit der Zillertaler Berge hat sich Diana Oesterle zurückgezogen, um weiter an ihrer Doktorarbeit zu schreiben. Auf einer Internet-Seite (www.hinterglasmalerei-klassischemoderne.de) können sich Kunstinteressierte bereits vorab über das Projekt informieren. Der 39-Jährigen standen Experten des Bundesamtes für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin, des Doerner-Instituts der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in München und Simone Bretz aus Garmisch-Partenkirchen, die Adresse, wenn es um das Restaurieren von Hinterglasmalerei geht, zur Seite. Ein hochkarätiges Team, das sich dem relativ jungen Forschungsfeld aus verschiedenen Blickwinkeln näherte.

"Natürlich ist ein Kapitel Heinrich Campendonk gewidmet", erzählt Oesterle. "Eines von 30." Etwa 18 Hinterglasbilder des rheinischen Expressionisten besitzt das Penzberger Museum. Wie viele derartige Kunstwerke in den Depots von Museen schlummern, sollte eine Fragebogenaktion ans Licht bringen. Mehr als 200 Museen hatte Oesterle zum Auftakt des Forschungsprojekts im Jahr 2015 angeschrieben. 50 haben geantwortet, hinzu kamen noch Rückmeldungen privater Sammler. Waren damals 34 Künstler mit etwa 426 Bildern bekannt, sind es nun 129 Maler mit etwa 1300 Werken. 66 Hinterglasbilder hat das Team erforscht. Während Oesterles Part die kunsthistorische Aufarbeitung war, untersuchte Simon Steger vom BAM Farben und Bindemittel. Möglich gemacht hat das Forschungsprojekt "Hinterglasmalerei als Technik der Klassischen Moderne 1905 bis 1955" die Volkswagen-Stiftung in Hannover, die im Rahmen des Programms "Forschen im Museum" eine Förderung in Höhe von knapp einer halben Million Euro gewährte.

Allein wenn es um die Maltechnik gehe, werde es spannend, sagt die 39-Jährige. Um das Motiv auf den Bildträger zu bringen, muss man nicht nur seitenverkehrt denken, der gesamte Malvorgang ist umgekehrt. Konturen, Schatten und ähnliches müssen zuerst aufgemalt werden. Zum Schluss folgt der Hintergrund. Weshalb Schau- und Malseite auch nicht identisch sind. Gemeinhin verbindet man mit Hinterglasmalerei jene Darstellungen religiöser Motive, die vom 18. Jahrhundert an in großer Anzahl in bäuerlichen Gegenden produziert wurden. Aufgrund dieser Nähe zu Volkskunst und Kunsthandwerk ließ die akademische Welt die Hinterglasmalerei sozusagen links liegen. Zu Unrecht, betont Oesterle. Paul Klee entdeckte Glas von 1905 an für sich. Wohl am bekanntesten sind die Werke der Mitglieder des "Blauen Reiters", die sich an der bäuerlichen Hinterglasmalerei orientierten. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte eine zweite Generation von Künstlern. "Eine Avantgarde, die mit der akademischen Tradition brechen wollte", sagt Oesterle. Wenn die 39-jährige Kunsthistorikerin von ihren Erkenntnissen erzählt, ist ihre Begeisterung für das Thema ihrer Dissertation regelrecht greifbar.

Viele Reisen hat Diana Oesterle unternommen, um Hinterglasbilder zu studieren. Im vergangenen Jahr war sie daher von ihrer Arbeit in Penzberg freigestellt. Anfang Oktober 2018, früher als geplant, kehrte sie zurück, um mit Freia Oliv die Museumsleitung zu übernehmen. Was außer den Forschungsergebnissen und der Doktorarbeit bleibt, sind für Oesterle die vielen Begegnungen etwa am Centre Pompidou in Paris. "Diese Kontakte sind wertvoll und wichtig für das Museum in Penzberg ", sagt sie. Und machen Lust auf all die Ausstellungen, die in dem Haus an der Karlstraße zu sehen sein werden.

© SZ vom 31.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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