Kriseninterventionsteam:Die Retter am Rande

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Weggespült: Die ehrenamtlichen Helfer des Kriseninterventionsteams Starnberg waren nach der verheerenden Flut in Simbach an Ort und Stelle. (Foto: oh)

Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Starnberger Kriseninterventionsteams kümmern sich um Menschen, die nach Katastrophen oder schweren Unfällen verzweifeln

Von Christiane Bracht, Starnberg

Es gibt Situationen im Leben von Menschen, die sind so unfassbar und schrecklich, dass sie Verwandte, Freunde oder auch Beobachter völlig aus der Bahn werfen: ein Unfall, bei dem der eigene Partner stirbt oder das eigene Kind, aber auch schwere Verletzungen, Reanimationen, Katastrophen wie die Flut von Simbach oder der Amoklauf von München. Notärzte, Polizei und Feuerwehr haben dann alle Hände voll zu tun und keine Zeit für die Geschockten am Rand des Geschehens. Dafür gibt es das Kriseninterventionsteam.

Egal, ob früh am Morgen oder mitten in der Nacht, die Helfer kommen, wenn sie gebraucht werden - meist zu zweit. Und sie bringen Zeit mit, viel Zeit. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, wieder aufzufangen. Sie sind emotional so gestresst und durcheinander, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können. "Viele weinen erst mal eine halbe Stunde, wenn wir kommen", sagt Marc Jenke, der Leiter des BRK-Kriseninterventionsteams in Starnberg. Und alles, was die Helfer tun können, ist dasitzen, abwarten und einfach nur da sein. Andere sind voller Wut und Verzweiflung, geben dem Unfallgegner oder sich selbst die Schuld an dem, was passiert ist. Manche gehen sogar auf die Einsatzkräfte los, werfen ihnen vor: Warum habt ihr ihn oder sie nicht gerettet? Deshalb sind die Helfer immer zu zweit - aus Eigenschutz.

"Den Schmerz können wir den Leuten nicht nehmen und das Geschehene können wir auch nicht rückgängig machen", sagt Jenke. "Aber wir helfen ihnen, sie soweit wiederherzustellen, dass sie die Schnur, die sie verloren haben, wieder festhalten können, um sich daran entlanghangeln zu können." Denn bis die Betroffenen den ersten Schock überwunden haben und realisieren, was geschehen ist, dauert es. Oft brauchen sie ein bis zwei Stunden, bis sie überhaupt in der Lage sind, ein Gespräch zu führen, sagt der 33-Jährige. Die Helfer vom Kriseninterventionsteam machen ihnen dann Vorschläge, was sie als nächstes tun können und worauf sie achten sollten. Denn traumatische Ereignisse hinterlassen meist Spätfolgen: Alpträume, Flashbacks. Oder die Menschen stürzen in ein tiefes schwarzes Loch. Die Krisenhelfer erklären, was normal ist, wann man Hilfe suchen muss und wo diese zu finden ist. Die Betroffenen sind dankbar für jeden Hinweis, klammern sich an alles, was weiterhelfen kann. Sie bekommen auch Flugblätter und Info-Broschüren, damit die Tipps nicht verloren gehen.

Seit einem Jahr gibt es das BRK-Kriseninterventionsteam in Starnberg. Zwölf Ehrenamtliche kümmern sich um die, die plötzlich aus dem Alltag und oft auch aus der Bahn gerissen wurden. "Anfangs haben wir nicht mit so vielen Einsätzen gerechnet", sagt Jenke. Durchschnittlich rücken die Helfer drei bis vier Mal pro Woche aus, aber es gibt auch Wochen, in denen sie doppelt so oft gebraucht werden. Am belastendsten war der Einsatz in Simbach, erinnert sich Jenke. "Wir haben Menschen auf der Straße getroffen, die auf ihre überfluteten Häuser starrten und nur noch das Handy in der Hand hielten. Sie hatten ihre ganze Existenz verloren und wussten nicht mehr, wohin sie gehen sollten, geschweige denn wie es für sie weitergehen soll." Die Verzweiflung in den Gesichtern der Leute werden die Helfer so schnell wohl nicht vergessen. Zwölf Stunden waren sie Anfang Juni im Einsatz, normal sind nur etwa vier Stunden.

Auch die Mahnwache nach dem Amoklauf in München war für das Starnberger Team eine Herausforderung. "1500 Leute waren dort. Wir sind zu siebt durch die Reihen gegangen, haben Leute angesprochen, die zurückgezogen dasaßen. Andere haben uns angesprochen. Es waren Freunde der Opfer und andere, die gesehen haben, wie der Attentäter mit seiner Waffe auf die Jugendlichen gefeuert hat", berichtet Jenke. Die Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Menschen und die Angst, dass so etwas noch einmal passieren kann, - auch in den Tagen danach - ließ die Krisenhelfer so schnell nicht wieder los.

Meistens wird Jenkes Team aber zu Verkehrsunfälle oder Suiziden gerufen. "Häufig sind es auch Todesfälle im häuslichen Bereich", sagt der Leiter. Im Sommer kommen Badeunfälle dazu. Vergangene Woche war das Team mit drei toten Kindern konfrontiert. Das ist belastend - auch für ausgebildete Helfer. Zudem sind nicht alle Arbeitgeber begeistert von so viel Einsatz, und so muss manch ein Helfer schon mal seinen Urlaub dafür opfern. Gut, dass die zwölf Ehrenamtlichen von Jenkes Team nur jede zweite Woche von der Rettungsleitzentrale angefordert werden. Die übrigen Wochen fährt das Kriseninterventionsteam von den Maltesern zum Einsatzort. Das ist auch für die Helfer eine enorme Entlastung, denn sie müssen oft genug direkt vom Schichtdienst oder ihrer Arbeit zum Unfallort fahren oder umgekehrt: nach vier oder fünf Stunden Trost spenden in der Nacht ihren Arbeitstag absolvieren.

Es ist kein leichter Dienst. Deshalb ist es auch schwierig Helfer für das Team zu finden. Mindestens 23 Jahre sollten Interessenten alt sein. Der Grund: Wer Menschen in schweren Krisen begegnet, sollte Lebenserfahrung haben, selbst mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und Empathie mitbringen. Die Helfer vom BRK-Team sind momentan zwischen 25 und 45 Jahre alt. Alle haben ein Jahr lang an Wochenenden neben der Arbeit her ihre Ausbildung absolviert. Wer glaubt, dass die Ehrenamtlichen für ihren kräftezehrenden Einsatz wenigstens eine Aufwandsentschädigung bekommen, irrt sich.

"Das Problem ist, unsere Einsätze produzieren nur Kosten", sagt Jenke. Denn der Einsatz des Kriseninterventionsteams ist für die Betroffenen kostenlos. Das Bayerische Rote Kreuz muss Uniformen, Ausrüstung und Auto stellen und ist dafür auf Spenden angewiesen. Als Einsatzfahrzeug dient ein ausgemusterter Notarztwagen mit mehr als 270 000 Kilometern auf dem Tacho. "Lang macht der's nicht mehr", sagt Jenke. Als Ersatz wünschen sich die Mitarbeiter einen kleinen Bus, in den sie sich mit den unter Schock stehenden Menschen zurückziehen können. Bislang stehe man immer auf der Straße, an der Schiene oder wo immer das Unglück war, sei "Gaffern" ausgeliefert und werde oft genug auch noch von Sensationslüsternen mit dem Handy gefilmt, erzählt der BRK-Einsatzleiter. Viele machen sich darüber vermutlich keine Gedanken, sondern verbreiten ungefiltert ihre Infos in sozialen Netzwerken. Ein Bus würde die Betroffenen vor den Kameras schützen. Außerdem habe man dann einen Tisch, an den man sich setzen könne, so Jenke. Doch ein solches Fahrzeug ist teuer und dem Team fehlt das Geld. Deshalb hofft er auf Spenden.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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