Wie sich Kinder ihre Gemeinde vorstellen:Das Gauting der Zukunft

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Kinder entwickeln in einer Ideenwerkstatt fantasievolle Visionen für ihren Heimatort. Das Spektrum reicht von einer Muttertags-Fabrik und einem riesigen Schwimmbad bis hin zum Umsonst-Reiterhof

Von Christiane Bracht, Gauting

Wie soll Gauting im Jahr 2022 aussehen? Jahrelang haben sich zahlreiche Erwachsene den Kopf zerbrochen, wie die Gemeinde sich zukünftig entwickeln soll. Stundenlang haben sie an Thementischen gestanden und heiß diskutiert. Aber was ist eigentlich aus all den Plänen geworden? Hat sich etwas verändert? Und haben die Diskussionsteilnehmer wirklich alle Aspekte bedacht? Wenn man die bunten Pläne der Kinder betrachtet, die am Montag eine fantastische Reise in das Gauting der Zukunft unternommen haben, muss man diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. An eine Muttertags-Fabrik, die sich als silbernes Herz mit glitzernd bunten Knöpfen von den anderen Gebäuden mitten im Ort abhebt, hat von den Erwachsenen sicher niemand gedacht. Auch einen Sprungturm an die Würm zu bauen, ist bislang noch nicht diskutiert worden, ebenso wie die Idee, ein riesiges Kaufhaus, das aussieht "wie ein Dubai-Tower", im Ortszentrum zu errichten oder einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach einer Villa.

"Wir fragen immer gleich nach dem Nutzen und fertigen Businesspläne an", sagt Kai Gabriele Krüger, die die Ideenwerkstatt initiiert hat. "Die Kinder dagegen haben einen ganz unverstellten, absichtslosen Blick auf die Dinge." Das gefiel ihr schon beim ersten Workshop mit Kindern vor einem Jahr bei der IHK in München. Damals ließ sie die Kleinen die Berufswelt erkunden und versuchte ihnen klar zu machen, dass man sich immer wieder neu erfinden muss, um Erfolg zu haben. Jetzt hat die 50-Jährige ihren zweiten Workshop geleitet, zusammen mit Astrid Barthel und Familie Zippler in der Gautinger Bücherei. "Als Zugereiste (Anm. d. Red.: Krüger lebt erst seit einem Jahr in Gauting) habe ich einen etwas anderen, einen neuen Blick auf den Ort", sagt sie. Und weil sie der Ansicht ist, dass Gauting eine Veränderung gut tun würde, wählte sie das Thema Zukunft. "Ich will aber nichts mit der Brechstange verändern", stellt sie sofort klar. Mit ihrer Ideenwerkstatt will sie vielmehr den Dialog zwischen den Generationen fördern und den Blick öffnen. Weisheit hat nach Krügers Ansicht nämlich nichts mit Alter zu tun oder Lebenserfahrung, "es gibt auch die Weisheit der Kinder", sagt sie. "Mit ihrem unverblümten Blick auf die Dinge bringen sie uns dazu das Problemdenken mal beiseite zu lassen."

Eine Uhr als Marktplatz, eine Milchtüte als Kirche: Die Kinder sind zufrieden. (Foto: oh)

20 Kinder im Alter von acht bis elf Jahren ließen ihrer Fantasie am Montag freien Lauf und kreierten aus alten Verpackungen und Papier mit viel Klebstoff und bunten Stiften ein Gauting der Zukunft. Und es machte Spaß ihnen zuzusehen, wie sie ohne zu zögern oder groß nachzudenken, auf einer Unterlage aus Papier, auf der nur die Würm und die drei wichtigsten Straßen im Ort aufgemalt waren, ihre Visionen verwirklichten. Luise baute sofort eine dreieckige Schule mit gläsernen Wänden, darauf thronte groß und rund das Lehrerzimmer mit Fenstern aus Glitzerknöpfen. "Dort oben sind Sitzpolster auf den Stühlen", erklärt Luise. Laurin klebte unterdessen eine alte Uhr auf den Gautingplan und erklärte: "Das ist der Marktplatz mit einem Stand." Marlene wollte "ein Kaufhaus, in das man hineingehen kann, damit man nicht auf Amazon warten muss und dann streikt auch noch die Post", erklärt sie. Auch Luisa war begeistert von der Idee und klebte ein paar Schachteln aufeinander. "Das Kaufhaus muss viele Stockwerke haben und einen Eingang, den man sieht", stellte sie klar. "Und in jedem Stockwerk ist was anderes, also im Erdgeschoss alles zum Thema Gesundheit, dann Schulsachen und so weiter. Damit wir Jugendlichen nicht nach Pasing fahren müssen, sondern in Gauting bleiben können."

Basti war es wichtig, dass im Zentrum eine Sparkasse steht. "Da ist der Tresor drin", sagte er und zeigte auf ein umgekehrtes Plastikkörbchen, in dem ein kleines leuchtend gelbes Kästchen stand. "Da sind 33 333 Millionen Euro drin." Quirin ist vermutlich der beste Kunde dort, denn er ist Multimillionär. "Ich habe einen Knopf gefunden erklärte er. Den habe ich verkauft. Da wollte ich Knöpfe sammeln, doch dann habe ich von einer entfernten Tante geerbt. Das Geld habe ich in Goldbarren angelegt und dann ist der Goldpreis gestiegen", erklärte er seinen Reichtum. Mit einem großen schwarzen Stift markierte er erst einmal ein riesiges Areal für sich - mitten im Ort, versteht sich. Zwei Nivea-Dosen übereinander stellten seine Villa dar. Darauf bastelte er mit einer Klopapierrolle und etwas Papier einen Hubschrauberlandeplatz. "Natürlich habe ich auch einen Autofuhrpark und eine Yacht", prahlte der Bub. Dann zeigte er auf einen größeren Pappkarton, im anderen Teil seines Anwesens: "Das ist das Asylbewerberheim. Den Volleyballplatz und das Freiluftschachspiel dürfen die Flüchtlinge mitbenutzen", sagte er. Im Gauting der Zukunft darf natürlich auch die Eisdiele, ein Tierheim, ein Entenhaus mit Taubenschlag, die Kirche und Felder nicht fehlen. Am besten gefiel den Kindern aber das riesige Schwimmbad, das die beiden Flüchtlingskinder Hava und Mitra mit zwei Wasserrutschen aus Plastikrohren gestaltet hatten.

Eine Uhr als Marktplatz, eine Milchtüte als Kirche: Die Kinder sind zufrieden. (Foto: oh)

Und woher soll das Geld für die Neuerungen kommen? Kein Problem: "Wir rauben eine Bank aus", sagte ein Bub. Ein anderer wollte Fußballspieler werden wie Mario Götze und so viel verdienen. Die Ideen reichten am Ende vom Zauberfinger, der alles in Geld verwandeln kann bis hin zu Steuern erhöhen, Tourismus und Spenden sammeln. Die Kinder überlegten aber auch, was ihnen in Gauting fehlt: eine freie Wiese zum Spielen, Austobmöglichkeiten oder ein Umsonst-Reiterhof, Kinderdisco und -theater, sowie ein Kino. Sie wünschten sich aber auch eine Schnitzeljagd durch die Kanalisation und einen Radweg nach Neuried. Krüger will die Ideen der Kinder auf dem Gauklerfest am 20. Juni vorstellen.

© SZ vom 22.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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