Krailling:Experimente auf der Strohgeige

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Strohgeige heißt das merkwürdige Instrument, das Georges-Emmanuel Schneider spielt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Im Kraillinger Salon "Klang und Kunst" improvisieren Georges-Emmanuel Schneider und Udo Schindler und wechseln zwischen alter und neuer E-Musik und allen Genren

Von Reinhard Palmer, Krailling

Es ist doch immer wieder eine Herausforderung, erst einmal alles über Bord zu werfen, was gemeinhin an musikalischen Qualitäten geschätzt wird. Klassische Spieltechniken, den reinen, wohlklingenden Ton, Prinzipien der Harmonielehre, Metrum und Ähnliches. Bei der Ad-hoc-Improvisation gilt es, jeder akustischen Äußerung gegenüber aufgeschlossen zu sein und sie rein emotional auf sich wirken zu lassen. Es ist bewundernswert, wenn ein Musiker die Flexibilität aufzubringen vermag, nach Bedarf zwischen alter und neuer E-Musik, Jazz, freier Improvisation und Elektronik zu wechseln und in allen Genres zu überzeugen. Der von Udo Schindler zum 54. Salon für Klang und Kunst nach Krailling eingeladene französisch-schweizerische Geiger Georges-Emmanuel Schneider gehört zu diesen außergewöhnlichen Musikern. Er hat am Salzburger Mozarteum und in Meisterkursen eine hervorragende klassische Ausbildung genossen, sich aber dennoch seine Experimentierfreude und Lust am Entdecken bewahrt.

Violinklang mit Bass- und Kontrabassklarinette sowie Sopransaxofon von Udo Schindler zusammenzubringen, forderte von den beiden Musikern, sich in Extremlagen zu kontrastieren, aber auch anzunähern, was vor allem in den Höhen der Obertöne überzeugte. Geradezu schmerzhaftes Klirren, Pfeifen und Quietschen inbegriffen. Auch das kann ungemein emotional aufwühlen und suggestiv Bilder hervorrufen. Schindler setzte den schrillen Tönen aber auch tiefe Substanz gegenüber, mischte ferner rare Klänge hinzu, Knutschtöne, luftiges Winseln oder perkussives Schnalzen.

Schneider blieb nicht nur bei der klassischen Violine. Er hatte auch ein exotisches Instrument mitgebracht, das durchaus in der Lage war, der sonoren Intensität der Blasinstrumente Stand zu halten. Die Strohgeige, 1899 in London von Johannes Matthias Augustus Stroh erbaut, verzichtet auf den Korpus. Die Töne werden vom Steg über eine mitschwingende Nadel auf eine Membran übertragen und von einem daran angeschlossenen Schallbecher nach dem Gramofonprinzip verstärkt. Die seltsam radiofone Klangnuance besticht mit einer scharfen, aufdringlichen Klangqualität, die auch Schindler zu schrillen Substanzintensität animierte. Rein assoziativ war man in der instrumentalen Besetzung schon ohnehin leicht in die orientalische Klangwelt versetzt. Umso mehr dann beim Einsatz der Strohgeige, die durchaus Ähnlichkeiten mit arabischen Instrumenten hervorbringen konnte.

Doch obgleich die angewandten Instrumente allesamt zu dichter Melodik fähig sind, führte die momentane Empfindung der Musiker eher in floskelhafte Bereiche, bisweilen rezitativisch oder narrativ aus sprachlicher Rhetorik heraus expressiv ausgestaltet. Das dialogisierende Element ist ohnehin das zentrale Element der spontanen Improvisation, bei der es aufs gegenseitige Zuhören und Interagieren ankommt. Über lange Strecken ließ sich das Publikum daher von einer gestisch ausgeprägten Konversation fesseln. Die klangliche Ausrichtung ließ gewiss aber auch meditativ magische Bilder vor dem geistigen Auge Revue passieren. Üppig bunt, intensiv, nicht selten surrealistisch, manchmal eher visionär, mehr geahnt als greifbar.

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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