Königswiesen:Ein Schluck Kaffee für die Kälber

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Die entlaufenen Jungrinder sind wieder beim Bauern in Hausen. Bei Königswiesen hat der frühere Zoodirektor Henning Wiesner die Tiere per Blasrohr narkotisiert

Von Michael Berzl, Königswiesen

Der Blick ist schon ganz dasig, die Augen wollen zufallen, die Vorderbeine geben nach, die junge Kuh kämpft noch ein wenig, ehe sie das Narkosemittel in die Knie zwingt. "Hellabrunner Mischung" nennt der Tiermediziner Henning Wiesner die Kombination, die er per Blasrohr verabreicht. Er bereitet einen weiteren Pfeil vor, legt an, visiert, holt Luft, ein kurzes Schnalzen, dann steckt die nächste Spritze im Schulterblatt eines der entlaufenen Kälber. Showdown auf einer Wiese bei Königswiesen. Ein Tier nach dem anderen wird dort betäubt, gefesselt und in einen Anhänger verladen. Man könnte auch sagen: Happy end. Fast alle Ausreißer sind mittlerweile wohlbehalten zurück im Stall des Bauern Georg Führer in Hausen. Nur eines soll sich noch im Wald herumtreiben, vermutlich bei Unterbrunn.

Mit dem Rücktransport ist am Dienstagnachmittag für weitere neun Kälber eine kleine Odyssee durch die Wälder südlich von Gauting zu Ende gegangen. Vor zwei Wochen hat ein Unbekannter nachts eine Stalltüre geöffnet, so dass zunächst 41 Jungrinder das Weite suchten. Innerhalb eines Tages gelang es dem Landwirt zusammen mit der Polizei und einigen Helfern, 27 Tiere wieder einzufangen, doch die in Freiheit verbliebene Gruppe machte es ihren Verfolgern schwieriger. Erst das Eingreifen des ehemaligen Tierparkdirektors Wiesner führte zum Erfolg. Zunächst erwischte er in der Nähe des Stalls in Hausen zwei Tiere, dann weitere zwei bei Oberbrunn, nun den Rest.

Harmlos, fast bemitleidenswert schauen sie aus, als sie auf einer Wiese direkt an der Bahnlinie stehen und sich aneinander drängen. Dort sind sie auch in den vergangenen Tagen schon öfter gewesen, denn dort haben sie grünes Gras zum Fressen gefunden; in den Wäldern liegt nur trockenes Laub. Ein Charolais, braune und schwarze sind dabei. Angelockt wurden sie vom Muhen eines Kalbes, das der Bauer Führer dort hin gebracht hatte, und von Hafer, der dort ausgestreut wurde. Das Wiesenstück ist nun umgeben von einem 350 Meter langen Bauzaun. Ausreißen können sie jetzt nicht mehr so leicht. Die direkt nebenan vorbeifahrene S-Bahn bringt sie gar nicht mehr aus der Ruhe, doch harmlos sind die bis zu 400 Kilogramm schweren Tiere noch lange nicht. Sie haben eine unbändige Kraft. Sie mit einem Strick festhalten zu wollen, ist aussichtslos; wenn sie sich wehren und aufbäumen, kann es gefährlich werden. Beim Einfangen und Verladen helfen sie alle zusammen, Georg Führer und seine Tochter Alexandra, Matthäus Jurenda vom Nachbarhof, Stefan Gantke vom Starnberger Veterinäramt und seine Praktikantiin Charlotte Matuschek. Selbst auf die betäubten Tiere gehen sie noch mit größter Vorsicht zu. Ohne pharmazeutische Hilfe wären sie kaum zu bändigen

"So Mädchen, du bist ein bisschen leichter", sagt Wiesner mit Blick auf ein etwas kleineres Kalb vor sich hin und dosiert seine Kombination aus Neuroleptikum und Analgetikum diesmal vorsichtiger. "Psst, leise", ermahnt er die Helfer. Die Tiere sollen möglichst wenig beunruhigt werden.

"Der kennt sich aus, der weiß, was er tut", schwärmt Führer. Der 53-jährige Landwirt weiß, was er dem ehemaligen Leiter des Tierparks Hellabrunn zu verdanken hat, der auch schon die seinerzeit berühmte Kuh "Yvonne" narkotisiert hatte. Die Kälber schickt er nur kurz ins Reich der Träume. "Kaffee", ruft Wiesner, kaum sind die narkotisierten Jungtiere sicher im Anhänger verladen. Tatsächlich verabreicht ihnen Alexandra Führer mit einer dicken Spritze einen Schluck starken Bohnenkaffee. Direkt auf die Zunge muss das Gegenmittel, dann stehen die etwa acht Monate alten Tiere schnell wieder auf den Beinen. Kaum im Stall angekommen, haben sie auch schon wieder gefressen.

Insgesamt etwa 280 Tiere stehen jetzt wieder auf dem Hof in Hausen. Am Dienstagnachmittag wurde noch einmal genau nachgezählt. Viele Jahre gehörte zur Landwirtschaft auch eine Hofmetzgerei. Georg Führer, der auch Metzgermeister ist, wollte seinem Vieh die Fahrt in einem Transporter ersparen, wollte mit gutem Futter möglichst hochwertiges Fleisch produzieren. Doch die Arbeit wurde zu viel, die Führers mussten die eigene Schlachtung vorübergehend aufgeben. Im nächsten Jahr wollen sie neu starten und wieder eröffnen. Jetzt muss sich der Landwirt aber erst einmal erholen. Er hat ein paar schlaflose Nächte hinter sich und war auch am Dienstag wieder von frühmorgens an auf den Beinen, um seine Kälber wieder einzufangen. Wer ihm das eingebrockt hat, weiß er immer noch nicht.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Kälberfang
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