Klavierabend:Knifflige Nuancierung

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Halina Bertrams seelenvolles "Heimspiel" im Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

Für ihren "Heimspiel"-Klavierabend im Bosco hat Halina Bertram ein besonderes Programm zusammengestellt: nicht unbedingt große, spektakuläre, und schon gar nicht populäre Werke. Vielmehr solche, die ihrer Vorliebe für knifflige Nuancierung entgegenkommen, wie sie vor allem im 19. Jahrhundert üppig Anwendung fand. Brahms machte seine späten "Sechs Klavierstücke" op. 118 zu einem Paradebeispiel dieser reichhaltigen Rhetorik. Im Grunde dreht sich in den vier Intermezzi, einer Ballade und einer Romanze alles um ein kleines Motiv, das die Stücke inhaltlich zusammenhält. Bertram verstand es dabei, die dichte Einheit zu wahren und reich zu differenzieren, dank ihrer spieltechnischen Perfektion in überaus treffsicherer und klangsinnlicher Weise. Sie ist eine entschiedene Interpretin, die selbst bei vielfältigem Changieren nie den Faden verliert und in den verworrensten Passagen für Klarheit und Transparenz sorgt.

Bertrams Spiel ist niemals steril. Die aus Prag stammende Musikerin schöpft vor allem aus einer ausgeprägten Vorstellungskraft, was Ausdruck, Erzählweise, Bildhaftigkeit und Klanggestaltung betrifft. Für Beethovens Les-Adieux-Sonate Es-Dur op. 81a bedeutete dies eine überaus ausdrucksstarke Narration, geführt durch aussagekräftige Stimmungsbilder ohne die klassische Strenge aufzuweichen. Der Weg von der sinnierenden Ungewissheit des "Lebewohls" über eine wehmütig umsungene "Abwesenheit" kulminierte in einem euphorischen "Wiedersehen"-Feuerwerk mit luftig trillerflirrender Erleichterung.

Diese klare Vorstellung vermochte Bertram auch in Janáčeks rätselhafter "Sonate 1.X.1905" zu vermitteln, die mit den Sätzen "Die Vorahnung" und "Der Tod" an den Tod eines Arbeiters bei Demonstrationen in Brno erinnert. Freilich kamen hier weniger bildhafte als emotionale Vorstellungen zum Zuge - wie sie auch Schumann im Bangen darum, seine geliebte Clara durch ihres Vaters Ablehnung verloren zu haben, in seiner Fantasie C-Dur op. 17 in Klangstimmungen Gestalt annehmen ließ. Als eine Art In Memoriam an Beethoven gedacht, durchwirkte das Gedenken an den Kollegen Schumanns eigenes Unglück auf entsprechend ambivalente Weise. Diese Verquickung erwies sich für Bertram als reizvoll und sie entwirrte die Bedeutungsebenen mit pianistischer Gewandtheit in präzise detaillierter Seelenarbeit. Ganz zur Begeisterung des zahlreichen, lang applaudierenden Publikums.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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