Kempfenhausen:Von lyrisch bis ekstatisch

Lesezeit: 2 min

Das Duo Baldych/Kaczmarczyk begeistert in Kempfenhausen

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Die rustikal, feudale Atmosphäre des relativ kleinen Rittersaals im Schloss Kempfenhausen hat das polnische Duo Adam Bałdych (Violine) und Paweł Kaczmarczyk (Klavier) zu großartigen Höhenflügen inspiriert. Die Kompositionen von Bałdych waren allerdings nur Anlässe und Wegweiser vor allem für eine eigentümliche Charakteristik, die man durchaus als slawisch verorten könnte. Keltisches glaubte man immer wieder herauszuhören, was etwas irritierte, wenn sich plötzlich orientalische Harmonik mit Mikrotonalität dazu mischte. In dem Kontext verwunderte es aber nicht, dass sich auch ein Gesang von Hildegard von Bingen hier nahtlos ins Konzept fügte.

Den Einstieg bot meist eine klangexperimentelle Suche nach dem jeweiligen Thema, das allmählich aus schwirrenden Violinflageoletts, zarten Tonspuren, freier Klavierperkussion oder flächigen Soundscapes wie von selbst zu erstehen schien. Die beiden glänzend aufeinander abgestimmten Musiker nahmen sich weit zurück, um dem Thema einen Freiraum zu geben. Es waren schon fantastische Reisen, auf die sich das Duo von da aus begab und auch die Zuhörer mitnahm.

Die allmähliche Entwicklung und die schlüssige Dramaturgie verliehen jeder Nummer den Charakter einer rhapsodischen Erzählung, die sich farbenreich überaus suggestiver Bilder bediente. Titel wie "Riverendings", "The Room of Imagination", "Letter to E." oder "Mirrors" deuteten hier zwar konkrete Vorstellungen an, ließen aber dennoch auch in der Musik viel Raum für eigene Interpretationen offen. Und gerade dieses Geahnte und nicht Ausgesprochene fesselte den Zuhörer so ungemein.

Derartige Entwicklungen galten auch für Stücke, die aus rhythmischen Pattern hervorgingen. Aus der Pizzicato-Violine oder dem Perkussionsklavier, das durch Handdämmung der Saiten manipuliert war, entwickelten sich bisweilen mächtige Grooves, die kraftvoll vorantrieben, aber sich auch wieder in einen lyrisch-melodiösen Fluss verwandeln konnten. Viel Energie wurde frei, wenn Kaczmarczyk mutig scharfkantige Modulationen einflocht, mit Atonalität aus der Idylle riss oder schroff Akkordklötze hinwarf. Seine pianistische Virtuosität stützte sich auf die klassische Spieltechnik, die beide Instrumentalisten meisterhaft beherrschen. Sie gab genügend Möglichkeiten an die Hand, hier ein weites Spektrum der spielerischen und klanglichen Differenzierung auszubreiten. Und Bałdych wie Kaczmarczyk scheuten nicht davor, das Spektrum lustvoll bis ins Extreme auszubreiten. Das galt einerseits für die stillen Momente in minimalistischer Manier, andererseits aber auch bis hin zu wilden Steigerungen in dröhnender Lautstärke, in denen sich die Musiker bis zur Ekstase gehen ließen und dabei letztendlich lärmendes Chaos zu einem packenden musikalischen Kunstgriff erhoben. Diese Eruptionen verfehlten ihre Wirkung nicht, zumal wenn anschließend Schnitte zur einfühlsamen Lyrik folgten. Der emotionale Nachhall öffnete die Sinne für die Feinsinnigkeit der empfindsamen Thematik. Das Publikum gab durchweg frenetische Ovationen. Es folgte eine stille, sehnsuchtsvoll ausgesungene Zugabe.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: