Kempfenhausen:Tausendundein Vorleser

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In einem Jahr durch 1404 Seiten: Andreas Ammer mit seinem Exemplar von David Forster Wallaces Roman "Unendlicher Spaß". (Foto: Arlet Ulfers)

Andreas Ammer stellt in Kempfenhausen sein gigantisches Hörspielprojekt "Unendlicher Spaß" vor

Von Patrizia Steipe, Kempfenhausen

Ein unglaublich komplizierter und tausend Seiten dicker Kult-Roman, eine Maschine, die ohne Unterlass Musik komponiert, und eine Internet-Community mit einem Faible für Verrücktheiten - das sind die Ingredienzien, die der Berger Fernsehregisseur und Hörspielmacher Andreas Ammer für sein neues Projekt "unendliches Spiel - unendlicher Spaß" benötigte.

Ammers Idee war es, die 1404 Romanseiten des Romans von David Foster Wallace "Unendlicher Spaß" ins Internet zu stellen, jede Seite von einem anderen Amateur vorlesen zu lassen und zum "größten Hörspiel ever" zu machen.

Nun ist "unendlicher Spaß" kein Bestseller à la Harry Potter - eher das Gegenteil: "Es ist einer der kompliziertesten Romane, die die Welt herausgebracht hat", sagte Ammer, der immerhin Germanistik und Philosophie studiert hat. Er selbst habe ein Jahr lang gebraucht, bis er den Wälzer des amerikanischen Autors durch hatte. Als Beweis präsentierte er im "Club der Dichter, Denker und Träumer" auf Schloss Kempfenhausen seine zerlesene und mit vielen bunten Post-Its versehene Ausgabe. Sieben Jahre lang hat übrigens der Übersetzer Ulrich Blumenbach gebraucht, um "Infinite Jest" ins Deutsche zu übersetzen.

Und jetzt das Hörspiel. Etwa 100 Stunden gefüllt mit Text und Musik. Am 8. März hatte Ammer mit den Internet-Lesungen begonnen. Er hoffte, dass mit viel Promotion das Buch vielleicht in einem Jahr eingelesen sein könnte. Schon nach wenigen Tagen "ging das Ganze durch die Decke", berichtete Ammer. Fast drohte die Veranstaltung mit der Publikumslesung in Kempfenhausen nach 70 Tagen mangels freier Seiten zu platzen, doch drei letzte Seiten hatte Ammer für den Abend reservieren können.

In dem 1996 erschienenen Roman, dessen Titel ein Zitat aus Shakespeares "Hamlet" ist, geht es um eine Tennis-Akademie, um ein Drogen-Reha-Zentrum und um einen Film, den "unendlichen Spaß", der so spannend ist, dass Betrachter nie mehr aufhören können ihn anzusehen. "Die Handlung, die ich Ihnen jetzt erzählt habe, ist im Roman aber nicht erkennbar", so Andreas Ammer zum Publikum der Reihe "Kunsträume am See". Die Leser scheint die Komplexität des Werkes keineswegs zu stören. "Es ist total schön etwas vorzulesen, das man nicht kapiert", erklärte ein Berger Wallace-Freund.

Die mit vielen Fremd- und Fachwörtern gespickten Seiten sind eine Herausforderung. Trotzdem: "Wallace war das größte Genie", betonte Ammer, und mehrere Fans des amerikanischen Schriftstellers (1962 bis 2008) nickten andächtig. Zum Beispiel Peter Buchheit, der den Roman bereits zum zweiten Mal liest. "Ich will nie mehr etwas anderes lesen", erklärte er. Dann durfte er Seite 27 vorlesen und dabei mit dem Smartphone aufnehmen. "Das reicht technisch", so Ammer. Dass die Vorleser, größtenteils Laien, eine unglaubliche Stimmen- und Aussprachenvarianz an den Tag gelegt hatten, war erwünscht. Ammer befreit nun die gelesenen Texte von Verlesern, unterlegt sie mit Pausen und arrangiert sie gemeinsam mit der Musik zum Hörspiel.

Diese Musik ist übrigens mindestens so verrückt wie der Roman. Die Musiker Andreas Gerth und Acid Pauli (Martin Gretschmann) haben mit Ammer dafür die "Goldene Maschine" erfunden, einen analogen Synthesizer, der aus 57 Modulen und 172 Kabeln besteht. Mit Hilfe von Spannungsschwankungen komponiert die Maschine, die im Düsseldorfer Museum K20 steht, ein Jahr lang ununterbrochen Musik.

Die ersten Seiten des Hörspiels sind fertig. Täglich werden neue Szenen ins Netz gestellt. Sie können unter der Adresse www.unendlichesspiel.de im Internet abgerufen werden. "Es ist ein Kunstwerk entstanden, das die wunderbare Diversität der Menschen hörbar macht", erklärte Ammer.

Und dann kommt er schwer ins Sinnieren: "Was ist das denn, wenn Tausende von Menschen sprechen? Man könnte sagen, so etwas wie Gott", meint der Hörspielautor.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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