Kempfenhausen:Gesänge der Stille

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Werke von Hildegard von Bingen und John Cage in Kempfenhausen

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Wo auch immer dieses Instrument auftaucht: Es zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Das war im Rittersaal des Schlosses Kempfenhausen nicht anders. An sich ist dieses Projekt der Sopranistin Irene Kurka - spezialisiert auf Alte und Neue Musik - ein rein solistisches Programm. Der Kulturverein Berg lud jedoch den Steinharfenisten Christoph Nicolaus dazu ein, die Magie des Gesangs mit den faszinierenden Klängen der Steinharfe zu steigern.

Wie bei der Glasharfe wird das Instrument durch die Reibung angefeuchteter Hände in hörbare Schwingungen versetzt. Die setzen bei dem kompakten Material langsamer ein als beim filigranen Glas, daher sind schnelle Tonwechsel kaum möglich. Es bleibt also bei Haltetönen, entweder mit beiden Händen unisono oder jeweils zwei Töne parallel gespielt, die je nach Intervall im Ausdruck variieren können, bis hin zu schwebenden Sekunde-Spannungen.

Nicolaus gab vorab zur Einstimmung eine kurze Kostprobe dieser geheimnisvoll-meditativen Klangsphären. Und auch wenn die erste Mystikerin des Mittelalters Hildegard von Bingen es auf die vertonten Texte bezog, passte doch der Titel ihrer Sammlung "Symphonia armonie celestium revelationum" (Symphonie der Harmonie der himmlischen Offenbarungen) auf der assoziativen Ebene durchaus auch zu diesen Klängen.

Reiche Differenzierung war bei dem Programm nicht gefragt, vielmehr asketische Kargheit einer schmal und ohne Vibrato geführten Gesangsstimme. Nicolaus reduzierte im Weiteren also seinen Part auf jeweils einen Bordun-Ton, um den Irene Kurka die Melodielinien der Antiphonen Hildegards von Bingen fließen ließ.

Die Idee des Projekts leitete Kurka wohl aus dem Wesen der Antiphon ab, geht es doch dabei um einen Wechselgesang. Den Gegenpart bekamen die neun ausgewählten Antiphonen allerdings aus einer gänzlich anderen Zeit: dem weit mehr als 800 Jahre später entstandenen, neunteiligen Zyklus "Sonnekus2" von John Cage, der darin das starke Element der Stille besonders intensiv nutzte. Obgleich beide Reihen nacheinander vorgetragen hier schon eindringlich genug waren, folgte im letzten Block ein abwechselnder Vortrag, sodass eine unmittelbare Konfrontation der dann doch gar nicht so weit voneinander entfernten Welten zustande kam.

In diesem reduzierten Rahmen fiel die Vielfalt in den mittelalterlichen Gesängen deutlich auf. Hildegard von Bingen erwies sich als sehr mutig in der Erschließung des Tonraums. Und Kurka bewies gesangliche Flexibilität, mit der sich ihre Stimme in den Tiefen verdunkelte, andererseits in den fahrig aufschnellenden Girlanden geradezu glänzte.

Es fehlte dabei weder an arienmäßiger Melodik noch an lyrischer Melancholie. Obgleich der Klang der Steinharfe einen besonderen Reiz ausmachte, entwickelten die langen Haltetöne eine Intensität, die mit den Gesängen immer wieder in Konkurrenz trat. Andererseits verhalf gerade diese Intensität Cages Momenten der Stille im Kontrast zu einer eindringlicheren Wirkung. Im Grunde ging es ja beiden Musikschöpfern um das In-Sich-Gehen, um eine meditative Versenkung. Doch während Hildegard von Bingen dazu den Ausdruck der Musik nutzte, bot Cage dafür Momente der Stille, die für ihn keinesfalls ein akustisches Nichts war, vielmehr der Einsatz der Lebenstöne. Töne des Herzschlags, des Atems, der Blutzirkulation.

Leider fehlte es dem Publikum im Kempfenhausener Schloss an Geduld, sich auf absolute Stille in Regungslosigkeit einzulassen. Die Musik konnte so nicht ihre volle Wirkung entfalten. Kurzum: Viel Schlussapplaus und eine Zugabe, "Sed diabolus...irrisit" (Aber der Teufel lachte).

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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