Karfreitag:Aus einem Guss

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In der Herrschinger Pfarrkirche Sankt Nikolaus kam am Karfreitag die Johannes-Passion mit dem Projektchor der Pfarreiengemeinschaft Ammersee Ost und dem Orchester Ensemble Lodron München zur Aufführung. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Anton Ludwig Pfell setzt Bachs Johannes-Passion fesselnd in Szene

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Bachs Johannes-Passion ist schon allein dadurch ein besonderes Werk, weil im Johannes-Evangelium weniger die Leidensgeschichte im Vordergrund steht, als vielmehr der Heilsplan an sich. Was geschieht, muss geschehen, damit sich die Schrift erfüllt. Jesus weiß, welchen Sinn alles hat und nimmt seine Rolle als Auftrag an. Das verleiht ihm Größe und Würde, mit der er denen, die ihn richten, entschieden und überlegen entgegentritt. Die Dialoge nehmen in diesem Werk entsprechend viel Raum ein. Insbesondere zwischen Jesus und Pilatus, kommentiert und moderiert vom Evangelisten Johannes. Deshalb braucht man für die Johannes-Passion erstklassige Solisten, was Anton Ludwig Pfell am Pult des Projektchores Pfarreiengemeinschaft Ammersee Ost und des Orchesters Ensemble Lodron München natürlich wusste und dem mit einer entsprechend starken Solistenbesetzung entsprach. In der Leipziger Nikolaikirche wurde die Passion einst uraufgeführt, in St. Nikolaus von Herrsching kam es nun einmal mehr zu einer überzeugenden Aufführung.

Mit dem umfangreichsten Part des Evangelisten betraut, erwies sich der Tenor Jan Martin Mächler mit seiner gänzlich unmanierierten, ja natürlichen Erzählweise wie bis in die höchsten Lagen treffsicheren Tongestaltung als beste Wahl. Zudem stimmig zum restlichen Solistenensemble, in dem die beiden substanzvollen und klangrunden Bässe Raphael Sigling als Christus sowie Florian Dengler als leugnender Petrus und geradezu mitfühlender Pilatus vor allem eine starke Szene des Gerichts formten. Während Sigling mit würdevoller Erhabenheit eines himmlischen Königs begeisterte, überzeugte Dengler als ein dramaturgisch fesselnder Dialogpartner, zudem überaus einfühlsam im Ausdruck, etwa im chromatischen Arioso "Betrachte, meine Seel" oder in der wiegend-beschwingten Arie "Mein teurer Heiland", in der Pfell den begleitenden Choral vom Vokalensemble weit zurückgenommen als getragene Hintergrundfolie behutsam platzierte. Im Grunde eine Antwort auf das mit dichter Textur erregte vorandrängende Dialogisieren von Dengler und Chor im "Eilt, ihr angefochtnen Seelen".

Die Rollen der Solistinnen zeigten sich stark differenziert, einmal als rein musikalische Farbwirkung, andermal im Ausdruck als Darstellung der rein menschlichen Dimension. Die in den Tiefen etwas blasse Altistin Florence Losseau verband Straffheit mit Betrübnis in der Aria "Von den Stricken meiner Sünden", verzauberte indes im schönfarbigen Dialog mit dem Cello im die Erfüllung des Heilsplans verkündenden "Es ist vollbracht". Der emotionale Höhepunkt gehörte im Grunde der wunderbar lyrischen Sopranistin Susanne Winter, die von Flöte und Oboe unterlegt im weiten Bogen mit dem schönmelodisch darüber schwebenden "Zerfließe mein Herz" berührte.

Dennoch blieb noch viel Raum für den Chor, dem Bach in der Johannes-Passion reichhaltige Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand gab, zumal der Chor in dem Werk auch an der inhaltlichen Entwicklung teilnimmt. Pfell griff die Möglichkeiten mit vielfältiger Differenzierung auf. Vor allem integrierte er die Choräle mit dramaturgisch sich nahtlos einfügender Charakteristik in die erzählerische Entwicklung. "O große Lieb', o Lieb' ohn' alle Maßen" etwa erklang schönfarben und getragen, das "Wer hat dich so geschlagen" kam impulsiv, "Christus, der uns selig macht" indes majestätisch, dabei feinsinnig durchmodelliert. "Mein teurer Heiland" zeigte sich gar wiegend beschwingt, während die Choräle aus der Schlussphase "O hilf, Christe, Gottes Sohn" sowie das strahlende "Ach Herr, lass dein lieb Engelein" mit hymnischer Größe ein angemessenes Finale herbeiführten.

Der Chor hatte schon die breiteste Palette an Ausdrucksmöglichkeiten zu bewältigen und überzeugte auch gerade mit seiner Vielseitigkeit. Insbesondere in der Gerichtsszene, wo das Vokalensemble die Rolle des Volkes zu vertreten hatte, vermochte es mit Präzision, Agilität, aber auch emotionaler Klarheit zielsicher den richtigen Ton zu treffen. Dieses mitgestalten der dramaturgischen Entwicklung hatte schon etwas von einer opernhaften Szenenbildung, zumal wendig und eng an den Vokalisten mitgetragen vom Ensemble Lodron, das einerseits zur jeweils adäquaten Atmosphäre beitrug, andererseits mit barocken Spieltechniken Bachs Stilistik im Auge behielt. Mit diesem Material ist es Pfell gelungen, das Werk stimmig in eine Form zu gießen, die das Publikum bis zum letzten Ton zu fesseln vermochte. Frenetischer Schlussapplaus.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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