Kammerchor:Souveräne Premiere

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Sicher und mit viel rhetorischem Gespür: der von Johannes X. Schachtner geleitete Kammerchor beim Auftritt in Gauting. (Foto: Georgine Treybal)

Der neugegründete Verein "collegium:bratananium" gibt in Gauting sein Gründungskonzert und überzeugt mit Werken von Tenney, Liszt, Hiller und seinem Dirigenten Schachtner

Von Berthold Schindler, Gauting

Das Dröhnen von hinten lässt sich nicht mehr überhören. Am Anfang ist es noch ein Rauschen, am Ende halten sich sogar die Solisten die Ohren zu, als Perkussionistin Babette Haag unbarmherzig mit ihrem Filzschlägel das Tamtam bearbeitet, das sich hinter dem Rücken der Zuhörer am Eingang der evangelischen Christuskirche befindet. Sozusagen mit einem Donnerhall namens "I have never written a Note for Percussion", so der ironische Titel des Komponisten James Tenney (1934 bis 2006), eröffnet der neugegründete Verein collegium:bratananium sein Gründungskonzert. Wobei Name und Mitglieder nicht ganz neu sind, gab es doch bereits seit 2002 ein Musikprojekt unter diesem Titel; der heutige Kammerchor des Collegiums wiederum firmierte bislang als Gautinger Kammerchor St. Benedikt. Die Leitung hat der junge, aber bereits international renommierte Gautinger Komponist und Dirigent Johannes X. Schachtner.

Die Premiere gelingt ohne das letzte Stück wäre sie sogar makellos gewesen. Denn: So furios wie die Performance begonnen hat, so enttäuschend hört sie auf. In Gregorio Allegris (1582 bis 1652) Karfreitagsklassiker "Miserere" für Tutti-Chor, Solistenquartett und Vorsänger agiert der große Chor etwas verhalten, fahl klingen die homophonen, im Gebetsstil eingesungenen Fauxbourdon-Psalmodien über den Psalm 51, in dem der Betende sich zur Buße mahnt und Gott um Erbarmen anfleht. Berühmt ist die Vertonung wegen der Solistenchöre; in jedem zweiten Vers hat die höchste Stimme ein für die damalige Vokalliteratur unerhörtes hohes C zu singen, das Highlight des "Miserere" und der Grund, warum es seit Jahrhunderten ein Gassenhauer der geistlichen Chormusik geblieben ist. Leider sing die Sopranistin die Motette mit ausladend vibratöser Stimmgebung, die für die Opernbühne geeignet ist, aber nicht für die Interpretation Alter Musik; gravierender ist aber, dass sie kein einziges Mal das C sauber trifft, sondern im Gegenteil den hohen zweiten Teil des Solistenverses derart tief intoniert, dass man sich wünschen würde, Schachtner hätte die Version ohne Solistenquartett gewählt, bei der nur der Chor singt. Oder den Allegri ganz weggelassen, denn das Konzertwar mit zwei Stunden ausreichend lang und das zuvor Dargebotene ein Erlebnis.

Bereits beim ersten Werk für Chor und Orgel, Liszts "Via Crucis", weist das Laienensemble seine hohe Qualität nach; auch solistische Beiträge werden souverän, intonationssicher und mit rhetorischem Gespür vorgetragen, himmlisch rein vor allem das Frauenterzett im zweimal vorgetragenen Satz "Stabat Mater". Noch ganz beklemmt vom Gonglärm zu Beginn wirkt Liszts Klangmalerei an der Orgel (gespielt von Konstantin Esterl) vom Leidensweg Jesu um so intensiver, verminderte Akkorde zeichnen ein Bild des zweifelnden Gottessohns und seiner Todesfurcht. Wenn Schachtner mit harten und weiten Bewegungen den Takt schlägt, folgen die Männer mit bedeutungsschweren "Jesus-Cadit"-Einwürfen - Jesus fällt.

Nach einem weiteren Schlagzeugstück des in München ansässigen Zeitgenossen Wilfried Hiller erklingt die von Schachtner selbst geschriebene Historien-Kantate Nr. 2 für Gesangssolisten, Violoncello, Chor und Glocke - aus mehreren Gründen der Höhepunkt des Konzerts. Da wäre zum einen der atemberaubend virtuose neuseeländische Cellist Edward King, der vom Flageolettheulen bis zum wilden Saitensägen sämtliche Facetten aus dem Instrument herausholt. Da wäre die Sopranistin Marie Schmalhofer, die einen wahnwitzigen Ambitus bis zum dreigestrichenen E abdeckt und ihre Partie mit dramatischer Lebendigkeit erfüllt. Da wäre Evangelist Stefan Thomas, der mit packendem Erzählertenor, und auch an heiklen Falsettstellen überzeugt. Und die Choristen nehmen sich der Turba-Chöre mit einem beängstigend authentisch gesungenen und gesprochenen Misstrauen an, das sich später in Blutdurst verwandelt.

Nicht zuletzt beeindruckt das Kurzoratorium selbst. Der Vergleich zu Bachs Johannespassion drängt sich auf, zumal Schachtner diesen Text vertont. Im Unterschied zu Bach verzichtet er auf die als Reflexionsmomente eingestreuten Choräle und geht auf die archaische Form wie bei Schütz zurück, in der es nur den Turba-Chor als Handlungsakteur gibt. Dies schafft eine gesteigerte dramatische Spannung, arbeitet somit den Leidenscharakter viel unmittelbarer heraus; die Rezitative sind in ihrem melodischen Material folgerichtig viel näher an den menschlichen Sprachduktus angelehnt, reduzierter im Tonumfang; das Cello als Continuorelikt spielt keine Secco-Einwürfe, sondern mal sonatenhaft mit gebrochenen Akkordfolgen und arienähnlichen Linien quasi gleichberechtigt zum Gesangssolisten, mal fragmentarisch mit sporadischen Pizzicati. Effektvoll auch die an den Notenständern angebrachten Holzplatten, die Schneidbrettern ähneln. Die Choristen trommeln darauf simultan zum Singen, die Hinrichtung am hölzernen Kreuz wird dem Publikum so in kaum erträglicher Plastizität vorgeführt. In seiner avantgardistischen Tonsprache verweigert Schachtner den einfach verständlichen tonalen Zugang, der Zuhörer muss sich seine Faszination für das Stück erarbeiten.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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