Jubiläum:Berauschende Klangflut zum Geburtstag

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Der Tutzinger Kirchenchor besteht seit 100 Jahren. Zum Jubiläum gibt er ein beeindruckendes Konzert - und wird von der Diözese Augsburg mit der Palestrina-Medaille des Cäcilienverbandes geehrt

Von Reinhard Palmer, Tutzing

1678 Kirchenchöre haben sie schon bekommen, die Palestrina-Medaille des Allgemeinen Cäcilienverbandes für Deutschland. Um sich die zu verdienen, musste der Kirchenchor von St. Joseph in Tutzing nichts weiter tun, als seit 100 Jahren zu bestehen.

Laut Festschrift gab es in der Tutzinger Pfarrkirche allerdings bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen Kirchenchor. Die früheste Aktivität ist 1879 dokumentiert. Zu einer festen Institution wurde er allerdings erst 1919, als der Lehrer Hans Kaiser die Sache in die Hand nahm. Seither umrahmt der Chor musikalisch alle Feierlichkeiten und besonderen Ereignisse der Gemeinde. Seit Jahrzehnten schon ist der Klangkörper aus dem reichhaltigen musikalischen Leben der Gemeinde nicht mehr wegzudenken. Nun ist der Leiter des Amtes für Kirchenmusik der Diözese Augsburg, Pater Stefan U. Kling, zum Jubiläumskonzert angereist, um die Palestrina-Medaille zu übergeben, nachdem das hauseigene Orchester dem Chor ein Ständchen gespielt hatte.

Ein Ständchen, das es in sich hatte: Dass hier die Cäcilienmesse von Gounod im Zentrum stehen sollte, da die Heilige doch die Schutzpatronin der Kirchenmusik ist, stand außer Frage. Kirchenmusikerin und aktuelle Chorleiterin von St. Joseph, Helene von Rechenberg am Pult, nahm es aber zugleich zum Anlass, das ganze Programm mit französischen Komponisten zu bestücken. Daher gehörte auch der ausgedehnte, große Tusch zur Eröffnung eher einem bei uns wenig bekannten Komponisten, dessen Symphonie Nr. 1 für Orgel und Orchester in d-Moll sicher viele überraschte.

Zum 100.Geburtstag gibt der Chor von St. Joseph ein Konzert. (Foto: Nila Thiel)

Félix Alexandre Guilmant (1837 - 1911) war einer der renommiertesten Organisten von Paris. Seine Symphonie trug wesentlich zur Ausbildung des französischen sinfonischen Orgelstils bei. Das dreisätzige Werk ist geradezu ein Feuerwerk an Ausdrucksformen, Farben und musikalischen Ereignissen. Mit Klemens Schnorr an der Orgel war der konzertante Part auch mit einer Koryphäe des Fachs besetzt. So eröffnete den Abend ein imposanter instrumentaler Auftritt zwischen geradezu schicksalhafter Dramatik und romantischer Lyrik, nicht ohne immer wieder auch hymnisch mit Fanfaren zu triumphieren sowie brillante Höhenflüge der feierlich inszenierten Orgel wirkungsvoll einzurahmen. Ein wahres Fest für die Sinne, bestens geeignet, auf die Messe Solennelle en l'honneur de Sainte-Cécile von Gounod hinzuarbeiten, zumal auch dort die Orgel einen Beitrag zur Farbigkeit des Klangs leistet. Der Komponist Camille Saint-Saëns beschrieb sein Erlebnis einer Aufführung mit den Worten: "Leuchtende Strahlen entströmten der 'Messe de sainte Cécile'. Zuerst war man geblendet, dann verzaubert, dann überwältigt." Diese Charakterisierung hatten sich die Mitwirkenden in Tutzing wohl auch zum Vorbild genommen.

Im Grunde ist die Cäcilienmesse ein ungewöhnliches symphonisches Werk, in dem nicht nur Chor und Orchester, sondern eben auch die Solisten ins Gesamtbild eintauchen, immer wieder von berauschender Klangflut überhöht. Der weit tragende Sopran von Ines Bergk, der lyrische Tenor von Sebastian Köchig sowie der etwas zu kraftvoll agierende Bass Eric Fergusson boten ein einfühlsames Instrumentarium dafür, vor allem dem meist überaus stimmungsvoll auftretenden Chor Kontrastmaterial zu bieten. Mit Fergussons dramatischerem Timbre ergab sich eine weiter gefächerte Differenzierung als wohl von Gounod überhaupt vorgesehen. Aber letztlich will dessen reichhaltiger Solistensatz gar nicht gezügelt werden.

Pater Stephan Ulrich Kling zeichnet auch dessen Leiterin Helena von Rechenberg (rechts) und die Kirchenvorsitzende Ina Lang aus. (Foto: Nila Thiel)

Was Atmosphäre und feinste Nuancen im Kolorit betrifft, hatte sich neben dem Orchester vor allem der Chor zu bewähren. Und er stemmte diese Verhaltenheit mit Bravour, Einfühlsamkeit und überaus warmer Klangsubstanz, ohne die Sprachdiktion zu vernachlässigen. Mustergültig dafür erklang das Benedictus mit einem innig-empfindsamem Solosopran über einem warmen Orchestersatz. Besonders schön auch die galant-geschmeidige Oboen-Einleitung mit Orchester im Gloria, allmählich von den Solisten übernommen, um im Terzett zwischen dramatischem und melancholischem Impetus zu changieren. Es fehlte natürlich in der Cäcilienmesse nicht an Feierlichkeit. Gounod baute immer wieder substanzvolle Steigerungen ein, die von Rechenberg mit effizientem Einsatz der Mittel zu eindrucksvollen Ereignissen von seelentiefer Gewichtigkeit formte.

Ursprünglich standen am Ende des Werkes die Fürbitten für Kaiser Napoleon, deren Text heute unpassend ist. Von Rechenberg schob den Satz (Offertoire) rein instrumental als ein stimmungsvolles und farbenreiches Zwischenspiel in die Mitte des Werkes, sodass am Ende nun ein zwar plastisch anschwellendes, doch ein eher atmosphärisches Finale des "Agnus Dei" stand. Eine zu kleine Wirkung für die imposanten Musiken des Abends wie auch für den Anlass des Konzerts. César Francks Vertonung des Psalms 150 "Das Große Halleluja" musste daher noch her, um vor allem dem Chor noch einmal die Gelegenheit zu geben, sich wirkungsvoll in Szene zu setzen. Das Werk verfehlte seine Wirkung auch nicht. Aus einer düsteren Einleitung schwoll die Substanz zu seiner dramatisch-spannungsgeladenen Charakteristik an. Farbenreiche Stimmeinsätze bäumten sich allmählich zur hymnischen Fülle auf, um nach einer rhythmisch gestrafften Stretta einen symphonischen Schlusspunkt zu setzen. Das hatte wahre Größe und riss das Publikum mit lang anhaltendem Applaus von den Bänken.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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