Integration in Gauting:Tapferer Schneider

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Als erster Flüchtling im Kreis hat Mohammad Hashemy die Erlaubnis bekommen, sich selbständig zu machen. Vor fünf Jahren ist der Afghane mit seiner Familie in Gauting angekommen - ein Lehrstück an Integration

Von Carolin Fries, Gauting

Es gab viele traurige Tage im Leben von Mohammad Hashemy. Der 36-jährige Afghane ist vor den Taliban nach Iran geflüchtet und von dort nach Deutschland. Neun Monate war er mit seiner Frau Fatemeh und der damals fünf Jahre alten Tochter Sara unterwegs nach Europa. Seit der Ankunft in Gauting am 20. Juni 2013 überwiegen die glücklichen Tage im Leben der Familie Hashemy. Hier trafen sie auf Menschen, die es gut mit ihnen meinten, sie schlossen Freundschaften und schmiedeten erstmals wieder Pläne für die Zukunft. An diesem Samstag nun feiert Mohammad Hashemy die Eröffnung seiner eigenen Änderungsschneiderei in der Bahnhofstraße. Für ihn und seine Familie einer der glücklichsten Tage im Leben.

Der Afghane ist laut Helferkreis damit der erste Flüchtling im Landkreis, der vom Jobcenter die Genehmigung zur Ausübung einer selbständige Tätigkeit bekam. Bis dahin war es ein langer und beschwerlicher Weg, wie Carmen Schmitz vom Helferkreis erzählt, die die Familie maßgeblich unterstützt hat. Unzählige Behördengänge waren notwendig, ein Businessplan musste her, die Räumlichkeiten und natürlich auch Mohammad Hashemy selbst wurden genauestens begutachtet: Wie gut ist er integriert, entwickelt er sich stetig weiter, wie steht es um seine Deutschkenntnisse, wie verlässlich sind die kalkulierten Zahlen? "Es war zäh", sagt die Betreuerin aus Stockdorf. Nahezu ein Jahr lang hat sie mit der Familie, die durch ein Abschiebeverbot geschützt ist, um eine Arbeitserlaubnis gekämpft. Hin und wieder war sie kurz davor, aufzugeben. "Aber dann haben mich die beiden mit ihrem Mut und ihrer Zuversicht wieder aufgebaut", erzählt die Stockdorferin. Als der Familienvater seinen Gewerbeschein in den Händen hielt, war er selig: Die Zukunft trug jetzt seinen Namen.

Alles ist fertig, nur die Kasse fehlt noch: Familie Hashemy (Fetimeh, Sara, Mohammad und Jusef, von links) freut sich auf die Eröffnung am Samstag. (Foto: Nila Thiel)

Nun sind die Hashemys so etwas wie eine Vorzeige-Flüchtlingsfamilie. Fatemeh Hashemy war stets der Überzeugung, dass "Deutsch wichtiger ist als Essen", entsprechend engagiert und schnell lernten alle Familienmitglieder die Sprache. Vor drei Jahren kam Sohn Jusef zur Welt, Mohammad Hashemy fand eine Arbeit bei einem Änderungsschneider in Starnberg. Er hat das Handwerk von seinem Vater gelernt, eine Ausbildung hat er nie gemacht. "Du bist ein Schneider", habe sein Chef nach nur wenigen Stunden zu ihm gesagt. Mit seinem Vater hat er damals in einem Keller in Iran Kleider entworfen und genäht, in Deutschland darf er ohne Meisterbrief lediglich Änderungsarbeiten vornehmen. Sechs Nähmaschinen hat er sich dafür zusammengesucht, alle sind gebraucht. "Jede kann etwas anderes", sagt er. Auch für Leder hat er eine Maschine, er kann also auch Gürtel und Handtaschen bearbeiten. Die ersten Aufträge hängen bereits am Kleiderständer in dem hellen Ladenraum, der zuletzt von einem Friseur genutzt wurde. "Die Nachbarin hat mir gleich ihre Sachen mitgegeben", erzählt der Schneider. Im vergangenen Jahr gelang es endlich, aus der Asylbewerberunterkunft in der Ammerseestraße auszuziehen. "Endlich haben wir eine Wohnung in Gauting gefunden", sagt die Frau und lacht ihr mitreißendes Lachen. Sie fühle sich so wohl in der Gemeinde, sagt sie, "die Gautinger sind einfach nett".

Darunter auch Anna-Katharina Farnoudi-Kirchheim, Eigentümerin der Immobilie. Sie bangte mit der Familie um die Arbeitserlaubnis und ließ den Laden monatelang leer stehen - obwohl die Lage der Hashemys immer wieder unklar war. Auch von ihr hängt schon ein Jackett am Ständer. Das Geschäft ist schlicht, aber mit allen nötigen Möbeln eingerichtet. Die Tische wurden gespendet, der Förderkreis Asyl half bei der Anschaffung der Nähmaschinen, den Rest hat Mohammad Hashemy mit seinen Freunden selbst gemacht, wie etwa die Umkleide aus Sperrholzplatten. Die Garnrollen in allen möglichen Farben von schwarz bis neongelb stecken auf Schrauben, die er ganz simpel in eine Faserplatte geschraubt hat. Am Freitagnachmittag vor der Eröffnung steht ein kleiner Rosenstrauch auf dem Ladentisch. Jetzt fehlt nichts mehr - außer einer Kasse. "Das kriegen wir auch noch hin", sagt Carmen Schmitz.

Die Familie Hashemy waren die ersten Flüchtlinge, die an jenem Tag im Juni vor fünf Jahren in Gauting ankamen. Die Ladeneröffnung ist ihr ganz persönlicher Erfolg - und doch viel mehr. "Es bedeutet uns sehr viel", sagt Claudia von Maltitz vorsichtig. Sie weiß, wie sehr die hunderten Flüchtlinge und ihre Betreuer in den Helferkreisen von solchen Erfolgsgeschichten zehren. Der Alltag nämlich ist ein anderer, erst recht seitdem Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch die uneingeschränkte Abschiebung nach Afghanistan gefordert hat. "Es ist nicht sicher dort", sagt Fatemeh Hashemy, die sich insbesondere um ihre Landsleute und Freunde in Gauting sorgt.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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