Inning:Vom Viehmarkt zum Bubikopf

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Dieser Aufruf aus 1918 wirkt kurios, ist es aber nicht. (Foto: Bildarchiv Austria/Repro: Ulfers)

Innings Geschichtsblätter befassen sich diesmal mit offiziellen Nachrichten bis hin zu modischen Trends

Von Astrid Becker, Inning

Eines sticht sofort ins Auge: Der Schwarzweiß-Druck. Dann ist da auch noch das Thema, dem sich das neunte Heft der Inninger Geschichtsblätter widmet. Denn darin geht es um offizielle und vermischte Nachrichten, die die Zeitungen in den Jahren 1876 bis 1933 über die Gemeinde veröffentlicht haben. Und das mag auch erklären, warum das Bändchen diesmal größtenteils auf bunte Bilder verzichtet. Es entspricht dem Stil der Zeit, mit der sich die Geschichtsblätter diesmal befassen.

Viele werden sich wohl kaum mehr an die maßgeblichen Mitteilungsblätter der Region von damals erinnern: An den "Land- und Seeboten" vielleicht noch eher, die "Andechser Rundschau" hingegen dürfte nur mehr etwas für medienhistorisch Interessierte sein. Doch beide dienen den Inningern, die sich mit der Heimatgeschichte ihres Ortes befassen, ohnehin längst als Quellen. Das mag ein Grund gewesen sein, warum sie einen tieferen Blick darauf werfen. Es geht aber wohl auch darum, eine Zeit lebendig werden zu lassen, über die heutzutage meist nur wenig bekannt ist. Amüsantes aus dem Inninger Alltagsleben haben die Autoren Jutta Göbber, Edeltraud und Horst Schramm dabei zutage gefördert. Nachrichten, die einst normal waren, aus heutiger Sicht erst einmal zum Schmunzeln anregen - obwohl sie in Wahrheit alles andere als komisch sind. Zum Beispiel die Aufforderung vom 12./13. Januar 1918: "Sammelt ausgekämmtes Frauenhaar", weil, wie dort noch zu lesen ist, die Industrie dieses für Treibriemen brauche. Veranstaltet wurde die besondere Spendenaktion damals vom Zentralkomitee des Roten Kreuzes - ein Hinweis, wie sehr gegen Ende des Ersten Weltkriegs Rohstoffe, sogar für die Herstellung von Kriegsgerät, knapp wurden.

Das zeigt sich auch in einer Meldung wenige Tage später, in der es darum ging, Brennnesseln zu sammeln und anzubauen. Denn die Pflanze komme der Baumwolle am nächsten, deren Zufuhr wegen der Kriegserklärung Amerikas "abgeschnitten" sei, ist dort zu lesen: "Wir Deutsche müssen unseren Stolz darein setzen, genügend Nesselfasermengen herbei zu schaffen, denn, genau so wenig uns der Engländer auszuhungern vermochte, darf uns der Amerikaner mit Gespinstfasern kaltstellen", hieß es am 21. Januar 1918. Etwa drei Wochen später wird vor Wäschestärke gewarnt, die mit Gips, Schwerspat und ähnlichen schädlichen Mineralien verfälscht worden seien. Doch es gibt noch andere alltagstaugliche Tipps: Statt Tabak eigneten sich demnach die getrockneten Blätter abgeblühter Rosen angeblich vorzüglich und Lederwaren schone man am besten mit Barfußgehen. Aber auch recht anderes Menschliches ist zu lesen, wie vom "Russenliebchen", einer Gütlersfrau, die "sich mit einem russischen Kriegsgefangenen eingelassen habe" und "zwei Knaben" zur Welt brachte.

1925 beschäftigte ein neuer Modetrend die Gemüter: die des Bubikopfes. Die Enkelinnen der Frauen, die sich so etwas schneiden ließen, würden Bärte tragen, "nicht freiwillig, sondern weil sich in jedem eine Art Haarfabrik befindet, in der die Energie zur Erzeugung bestimmter Haare innewohnt". Ergo: Lassen sich Frauen die Haare so schneiden, "wird sich ein Teil der unverbrauchten Energie ein anderes Ventil suchen und sich in einem Bartwuchs der Frauen äußern." Neben derlei Kuriosa sind jedoch auch ernsthafte Nachrichten festgehalten: Zum Beispiel Gerichtsurteile, Unfälle, Termine von Viehmärkten und Wahlergebnisse. Mit seinen Geschichtsblättern nimmt der Verein Heimatgeschichte Inning seine Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit, die lebendig und dadurch auch verständlich wird.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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