Inning:Sieg über den Säbelzahntiger

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Die Inningerin Christine Bronner ist Musiktherapeutin und Psychotraumatologin. Vor allem ist sie die Gründerin der Stiftung "Ambulantes Kinderhospiz München". Dafür hat sie die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhalten.

Von Astrid Becker, Inning

Christine Bronner hat ihn mehrmals erlebt: den Kampf mit dem Säbelzahntiger, ihrem Symbol für eine typische, evolutionär bedingte Reaktion im menschlichen Gehirn auf Unfassbares. Auf schreckliche Erlebnisse, die nicht anders zu bewältigen sind, als sich innerlich komplett von ihnen zu distanzieren, emotional einzufrieren. Der Mensch, so sagt die Inningerin, habe grundsätzlich drei Möglichkeiten zu reagieren, wenn ihm etwas Furchtbares passiert: Entweder anzugreifen, "was die Beste aller Möglichkeiten ist", davon zu laufen oder eben in eine Art Schockstarre zu verfallen, was jedoch nicht ohne schwerwiegende Folgen für die Psyche einhergehe. Christine Bronner weiß, wovon sie spricht. Sie ist nicht nur Musiktherapeutin, sondern auch Sozialpädagogin und Psychotraumatologin. Mit ihrem Mann Florian gründete sie 2005 die Stiftung "Ambulantes Kinderhospiz München - AKM". Für ihr Engagement ist das Paar nun mit der Bayerischen Verdienstmedaille ausgezeichnet worden.

Wenn man mit Christine Bronner über ihre Arbeit spricht, dann kommt er immer wieder mal zur Sprache: Der Säbelzahntiger, der einst, in grauer Vorzeit, ein lebensbedrohlicher Feind des Menschen war. Für Christine Bronner steht er für Schicksalsschläge, die bei vielen Menschen schwere Traumata auslösen, mit denen sie oft allein gelassen werden. Zum Beispiel bei schweren Unfällen, bei der Diagnose einer schweren Krankheit, beim Verlust eines nahen Angehörigen oder gar eines Kindes. Wie allein man sich dabei fühlen kann, welche schwerwiegenden Folgen das für einen Menschen, einen Angehörigen haben kann, weiß Christine Bronner nur allzu genau. Fünfmal war sie schwanger, zwei ihrer Kinder hat sie verloren: eines, das dritte, Simon, hat sich im Mutterleib mit der Nabelschnur stranguliert. Ihr viertes Kind, Stefanie, kam zu früh auf die Welt und überlebte nicht. Ihre Familie ging psychisch angesichts dieser beiden Verluste durch die Hölle. "Als das mit Simon passierte, haben mein Mann und ich ihn ohne unsere anderen beiden Kinder, die ja noch klein waren, begraben. Das war ein Fehler", sagt sie heute. Denn beide erlitten durch den Verlust ein Trauma, ganz normal, wie Bronner heute weiß: "Die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit bei einem Kind oder dann sein Tod, bedeutet eine Traumatisierung der ganzen Familie", sagt die 54-Jährige. Deshalb legt sie bei ihrer Arbeit auch einen Schwerpunkt auf die Betreuung der Angehörigen.

Christine Bronner hat zwei Kinder verloren, heute kümmert sie sich um Menschen, die ähnliche Schicksalsschläge durchleben. Nun erhielt sie für ihr Engagement die Bayerische Verdienstmedaille. (Foto: Arlet Ulfers/oh)

Wer sie fragt, warum sie 2004, den ersten ambulanten Kinderhospizdienst, aufgebaut hat, bekommt aber zunächst eine ganz unemotionale Antwort: Ein Freund habe im Jahr 2000 seinen 50. Geburtstag gefeiert und wollte etwas Gutes für Kinder in diesem Bereich tun. Sie half ihm bei den Recherchen nach entsprechenden Einrichtungen. Herauskam, dass es so etwas bis dato in Bayern nicht gab. Da sei dann erstmals die Idee entstanden, selbst einen Dienst dieser Art ins Leben zu rufen. Mit dem Erbe ihrer Eltern bauten sie und ihr Mann den Kinderhospizdienst auf und gründeten mit dem Kapital 2005 die Stiftung AKM. Die Arbeit und das Engagement der Bronners geht jedoch weit über Sterbebegleitung hinaus. Ziel ist es unter anderem, dass Kinder so lange wie möglich Zuhause leben können, dass die Bedingungen dafür geschaffen werden. Dazu gehören beispielsweise die Suche nach einer geeigneten Wohnung, Gespräche mit Schulen oder auch mit Arbeitgebern: "Es geht sehr schnell, dass Familien, in denen Kindern eine lebensbedrohliche Diagnose gestellt wird, in den sozialen Abgrund rutschen." Weil zum Beispiel ein Elternteil sich um das erkrankte Kind kümmern muss und nicht mehr arbeiten kann. Oder weil er aufgrund seines Leides psychisch erkrankt.

Um die 100 Familien betreut das Ambulante Kinderhospiz derzeit - etwa 180 Ehrenamtliche und rund 40 Beschäftige helfen dabei. Aus der einst kleinen Initiative ist längst ein erfolgreiches Sozialunternehmen geworden, das Bronner rund um die Uhr beschäftigt - auch weil sie sich finanziell stark auf die Spendenfreudigkeit der Gesellschaft verlassen muss. Nur etwa ein Drittel des gesamten Leistungsspektrums, das das Ambulante Krisenhospiz übernimmt, wird von Krankenkassen und dem Sozialsystem abgedeckt - obwohl es dabei auch um gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben geht. Eine 24-Stunden-Rufbereitschaft zum Beispiel. Das AKM berät aber auch in sozial-rechtlichen Fragen oder leistet finanzielle Hilfe - bayernweit. Und erfüllt Herzenswünsche, in dem sie den todkranken Kindern besondere Erlebnisse beschert.

2004 hat Christine Bronner mit ihrem Mann Florian das Ambulante Kinderhospiz gegründet. (Foto: Arlet Ulfers)

Ein großer Aufgabenbereich ist aber auch die Krisenintervention. Bronners Dienst wird von den Krankenhäusern gerufen, wenn ein Kind nach einem Unfall im Sterben liegt. Etwa 30 Menschen arbeiten dort im Kriseninterventionsteam. Sie alle sind bestens ausgebildet. Mitgefühl alleine reiche da nicht, sagt Bronner: "Man muss wissen, was im Gehirn vorgeht." So wie sie selbst. Bronner kennt die Sache mit dem Säbelzahntiger ja ganz genau. Und mittlerweile kann sie sich auch wehren.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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