Inning:Eine Unermüdliche

Lesezeit: 4 min

Ortshistorikerin Jutta Göbber hat zusammen mit drei Mitstreitern eine Revue zur tausendjährigen Geschichte der Gemeinde Inning initiiert. (Foto: Georgine Treybal)

Jutta Göbber prägt als Ortshistorikerin und langjährige Gemeinderätin das Bild von Inning. Hier fühlt sie sich nach vielen Stationen zu Hause

Von Astrid Becker, Inning

Der Schreibtisch stammt noch von ihrer Mutter. Er steht in einer Nische mitten im Wohnzimmer, dort, wo andere Menschen vermutlich einen Esstisch oder gar die Couch drapiert hätten. Aber für Jutta Göbber ist das Mobiliar genau an dieser Stelle absolut richtig platziert. Hier hat sie früher ihre Kinder beim Spielen im Garten beobachtet, gleichzeitig studiert, Hefte korrigiert, an den Inninger Geschichtsblättern geschrieben oder Anträge für die nächste Gemeinderatssitzung formuliert. Vor kurzem hat sie ihren 70. Geburtstag gefeiert, natürlich mitten in Inning.

Wenn sie heute über die Gemeinde am Ammersee spricht, sagt sie: "Das ist mein Zuhause". Heimat, diesen Begriff mag sie nicht dafür verwenden, aber "ich bin hier angekommen". Man muss schon in ihre persönliche Lebensgeschichte blicken, um zu begreifen, was sie mit dieser Aussage meint. Denn Jutta Göbber ist, bevor sie nach Inning kam, sehr viel herum gekommen. Vielleicht weil sie auf der Suche nach diesem Zuhause war, vielleicht, weil ihre familiären Umstände dies so bedingten. Die langjährige Gemeinderätin und Ortshistorikerin wurde am 4. Oktober 1945 in Hessen, genauer gesagt in Witzenhausen, geboren. Nach einem halben Jahr jedoch zog sie mit ihrer Großmutter nach Thüringen, auf den Bauernhof von deren Schwester. Es ist eine typische Nachkriegsgeschichte, die sich hinter diesem Umzug verbirgt. Göbbers Mutter, "ihre Mutsch", wie sie sie nennt, studierte zu dieser Zeit noch Medizin in Berlin. Vom Vater hatte sich die Mutter getrennt. Der Großvater, Friedrich Sauermilch, ein recht erfolgreicher Architekt, war im März 1945 gefallen.

Jutta Göbber hat also ihren Großvater nie kennengelernt, ihre Oma dagegen umso besser. Sechs Jahre verbringt sie mit ihr auf dem Bauernhof der Großtante, zwischen "Kuhschwänzen" und allen anderen Freuden, die das Landleben so bringt - vor allem in Sachen Ernährung. Denn genau dieser Punkt dürfte auch der Grund gewesen sein, warum die Großmutter sich entschloss, ins Thüringische zu gehen: " Mama half da mit, und wir beide hatten Kost und Logis frei", erzählt Jutta Göbber. "Mama", das ist die Oma bis heute für sie geblieben. Niemand, so sagt sie, habe sie so sehr geprägt wie diese Frau. Von ihr habe sie den Realitätssinn, den Pragmatismus, der sie später, im Berufsleben als Gymnasiallehrerin, aber auch in ihren vielen Ehrenämtern so auszeichnen sollte. Mit zwölf Jahren zog Jutta Göbber mit der "Mama" von Thüringen wieder näher zur "Mutsch" Richtung Berlin. In der ehemaligen DDR ging sie auch zur Schule. Ihre Mutter arbeitete zu dieser Zeit in der in Ost-Berlin gelegenen Charité-Klinik als Neurologin, hatte aber wieder geheiratet, einen Westberliner, und musste, auch um ihre Familie zu sehen, permanent die Grenze passieren.

Es ist wohl Angst, die die Familie wieder einmal zum Umzug bewegt, diesmal in die Eifel. Ihr Mutter eröffnet dort eine eigene Praxis für Allgemeinmedizin. Jutta Göbber besucht zu dieser Zeit ein Gymnasium in der Eifel, legt dort auch das Abitur ab. In Bonn und Tübingen studiert sie Germanistik und Geschichte. Sie lernt ihren späteren Mann Friedrich kennen, einen Physiker. Bereits damals liebäugelt sie mit dem Beruf der Gymnasiallehrerin: "Aber um ganz sicher zu sein, habe ich viele Praktika absolviert, bei einer Zeitung und sogar sechs Monate als Vertretung in einer Schule gearbeitet." Ihre eigentliche Stärke entdeckt sie dort: Wissen zu vermitteln, mit Menschen zu kommunizieren und sich dabei immer genau auf den jeweiligen Adressaten einzulassen: "Es ist ja ein Unterschied, ob ich vor jungen Menschen stehe oder vor längst Erwachsenen einen Vortrag halte."

Mit ihrem Mann geht sie zunächst nach Nordrhein-Westfalen, arbeitet in einer Gesamtschule. Eine interessante Erfahrung nennt sie das heute, auch, weil es ihr später, als sie nach Bayern kam, erst einmal negativ angerechnet wurde. "Das fand man wohl anfangs nicht so passend, dass eine nichtbayerische Beamtin nach Bayern ins Gymnasium wollte und von einer Gesamtschule kam." Ebenfalls nicht passend war ihr Studium von zwei Hauptfächern, das sie vorweisen konnte: Denn in Bayern waren für diesen Job ein Hauptfach und zwei Nebenfächer Pflicht. Jutta Göbber ließ sich davon nicht schrecken. Sie studierte mit Mitte 30 noch einmal - Politikwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München: "Ich wollte einfach unbedingt meinen Beruf ausüben können."

Sie lebte mit ihrer Familie bereits in Inning. Denn 1980 war sie wieder einmal ihrem Mann gefolgt, der eine Stelle bei der DLR bekommen hatte. Ihre Tochter Margret war damals fünf Jahre alt, der Sohn ein halbes Jahr. Als sie mit dem Kleinen im Kinderwagen durch Inning spaziert, erfährt sie vom Jugendheim, das geschlossen werden sollte. Mit dem Kulturkreis kämpft sie für dessen Erhalt. "Da lernt man schnell den Pfarrer kennen", denn das Gebäude, in dem die Institution untergebracht ist, gehört der Kirche. "Und wenn dann die ersten leeren Bierflaschen davor liegen, lernt man auch schnell den Bürgermeister kennen." Für eine Zugezogene ein relativ rasanter Einstieg ins Gemeindeleben, wie sie noch heute, 35 Jahre später, ein wenig verwundert feststellt.

Auch in der Politik, genauer in der SPD, landet sie schnell, ein Nachbar wirbt sie an. Erstaunlich sei das aber nicht gewesen, erklärt sie. Zum Einen, weil sie immer ein politischer Mensch gewesen sei. Zum Anderen, weil sie die damals viel gepriesenen Werte der SPD wie Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit ohnehin vertreten habe: "Wobei Gerechtigkeit der schwierigste Begriff ist, weil er ja immer einen Bezug braucht", sagt sie und da bricht dann doch die Germanistin in ihr hervor. Doch "oberlehrerhaft" klingt das trotzdem nicht, eher wie etwas, über das sie gern noch mehr diskutieren würde. Genauso gern wie über das Wort "Gemeinschaft", denn "wir haben ja längst den Trend zu mehr Individualität." Das sei auch gut so, wie sie aus ihrer Zeit in der DDR weiß. Aber die Grundsätze, die Werte dürfe man nicht "aus den Augen verlieren": "Alleine können wir nicht leben, wir brauchen die Gemeinschaft, auch die politische."

Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich noch immer engagiert, etwa im Helferkreis Asyl, im Verein Heimatgeschichte Inning und in der Organisation des Festjahres 2016 "Historisches Stegen". Entspannt zurücklehnen kann sie sich dann also doch nicht ganz - obwohl sie sich vor fünf Jahren aus dem Direktorium des Viscardi-Gymnasiums in Fürstenfeldbruck in den Ruhestand verabschiedet hat und 2014 auch nicht mehr für die SPD als Gemeinderätin kandidieren wollte.

Dabei hätte sie sogar die CSU, beispielsweise der jetzige Bürgermeister Walter Bleimaier, gern noch in dem Gremium gesehen. " Wir saßen 18 Jahre gemeinsam im Gemeinderat, und ich habe sie ermuntert weiterzumachen", sagt er. Eben, weil sie sich nicht von ihren Überzeugungen abbringen lasse, aber nicht stur sei: "Sie hatte bei allem, was sie durchsetzen wollte, auch immer den Haushalt der Gemeinde im Kopf, sie wusste genau, was finanzierbar und daher auch machbar ist."

Doch auch Bleimaier gelang es nicht, sie zu einer erneuten Kandidatur zu überreden: " Es sollten mal Jüngere ran", sagt sie. Und: "Ich habe mir das drei Jahre lang sehr gut überlegt." Wahrscheinlich an ihrem Schreibtisch im Wohnzimmer. Immer mit direktem Blick in den Garten.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: