Seltenes Vorkommen der Bachmuschel:Das Geheimnis des Inninger Bachs

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Durch Zufall ist in dem Gewässer die seltene und äußerst gefährdete Bachmuschel entdeckt worden. Nun gibt es eine ausgebildete Beraterin, die sich der weiteren Ansiedlung widmet, aber noch viele Probleme lösen muss

Von Astrid Becker, Inning

Herkulesstaude. "Bloß nicht berühren." Die Warnung kommt aus berufenem Munde. Denn Ursula Madeker von der Unteren Naturschutzbehörde kennt die Gegend ganz genau. Am liebsten würde sie das Pflänzchen, das auch die Ausmaße eines Strauches annehmen kann, mit bloßen Händen herausreißen. Doch sie weiß genau, wie gefährlich dieser Doldenblütler ist, der im Volksmund auch Riesen-Bärenklau genannt wird. In Verbindung mit Sonnenlicht führt er bei Menschen und Säugetieren zu schwer heilenden und schmerzhaften Verbrennungen.

Doch hier, am Inninger Bach, hat sein Vorkommen vielleicht auch etwas Gutes, hält er doch zumindest vorerst noch allzu neugierige Menschen ab, dem Gewässer zu nahe zu kommen. Denn es birgt einen wertvollen Schatz: die Bachmuschel. Vor zwei Jahren wurde sie dort bei Räumungsarbeiten entdeckt. Und allein aus diesem Grund grenzt es an ein Wunder, dass es sie in dem kleinen Fließgewässer überhaupt noch gibt. Denn wenn die akut vom Aussterben bedrohte Süßwassermuschelart etwas nicht leiden kann, sind es Arbeiten wie diese, die sie aus ihrer gewohnten Umgebung reißen und dadurch ihr Vorkommen gefährden. Im Fall des Inninger Baches jedoch führten diese Arbeiten dazu, dass die Bachmuschel hier geschützt wird.

Einen maßgeblichen Beitrag dazu leisten Menschen wie Ursula Madeker. Denn die Landespflegerin, die sich normalerweise mit Bebauungsplänen, Grünflächen und derlei Dingen befasst, hat sich im vergangenen Jahr als eine der ersten in Bayern zur Muschelberaterin ausbilden lassen. Und sie ist es auch, die der Bachmuschel vom Inninger Bach den Namen "Loisl" verpasst, sie gezeichnet und sogar in einem Gedicht verewigt hat. Weil es ihr darum geht, Sympathie für diese seltenen Wesen zu wecken. So gewappnet hat sie zusammen mit Katharina Stöckl von der Koordinationsstelle für den Muschelschutz in Bayern auch schon vor kurzem im Inninger Gemeinderat vorgesprochen und dort für den Schutz von Loisl geworben. Genau betrachtet geht es dabei aber nicht um freiwillige Hilfsmaßnahmen, sondern sogar um eine rechtliche Pflicht. Denn "Unio Crassus", wie die Bachmuschel auch heißt, wird im Anhang II und im Anhang IN der FFH (Flora-Fauna-Habitat)-Richtlinie der EU aufgeführt und zählt damit zu den Arten, für die besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Das heißt: Ihr Bestand im Inninger Bach genießt strengen gesetzlichen Schutz und darf sich demnach nicht verschlechtern.

Schwer zu entdecken und sehr selten: die Bachmuschel. Hier ein Exemplar aus dem Inninger Bach. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Doch so ganz genau kennt auch Ursula Madeker die Größe dieses Bestandes nicht. Denn die Muschel ist sehr schwer zu finden und leicht mit einem der Kiesel am Bachgrund zu verwechseln. Sie vergräbt sich zu etwa zwei Dritteln im Gewässergrund, das Drittel, das noch aus dem Substrat ragt, verkalkt - wenn man so will, ist das eine perfekte Tarnung. Wer die Bachmuschel finden will, muss also ein echter Experte sein - wie Madeker oder Stöckl. Wie viele es also genau sind, weiß kein Mensch. Nur eines: Knappe 200 Exemplare haben die beiden Muschelschützerinnen bisher auf der Strecke zwischen Wörthsee und Amper entdeckt - ebenso wie den Wirtsfisch Aitel, den die Bachmuschel so dringend für ihr Überleben braucht. "Der Fischbestand hier im Inninger Bach ist sehr gut, was die beste Voraussetzung für die Bachmuschel ist", sagt Madeker. Denn das größte Problem der Bachmuschel ist ihre etwas komplizierte Fortpflanzung. Nach der Befruchtung der Muschel-Eier entwickeln sich in den äußeren Kiemen der Weibchen etwa 0,2 Millimeter große Larven. Diese Glochidien stößt das Weibchen zwischen Ende April und August aus. Innerhalb weniger Tage müssen die kleinen Muschellarven dann einen Wirtsfische suchen wie die Elritze oder eben die Aitel, deren Bestand im Inninger Bach gesichert und gesund zu sein scheint. In der Gemeinde nahe des Ammersees ist es also dieser Fisch, an dessen Kiemen sich die Glochidien festsetzen. Allerdings ist die Sterblichkeitsrate dieser Glochidien sehr hoch: Sie liegt immerhin bei 25 Prozent. Überleben sie aber, werden aus ihnen in wenigen Wochen Jungmuscheln. Diese lassen sich dann auf den Wassergrund sinken, wo sie sich für ein bis zwei Jahre im Sediment vergraben. Auch die erwachsenen Tiere leben im Sediment des Bachgrunds - und zu finden sind sie dort nur anhand der Schleifspuren, die sie mit ihrem Muschelfuß hinterlassen, wie Madeker erklärt: "Sie bewegen sich zwar nicht viel, aber doch ein wenig." Im Inninger Bach wurden sie an verschiedenen Stellen entdeckt, nicht aber im gesamten Verlauf des Gewässers. Verschiedene Schutzmaßnahmen sollen nun dazu beitragen, ihre Populationen nicht nur zu erhalten, sondern zu vergrößern. Immerhin hat sich das Artenhilfsprogramm Bachmuschel in Bayern zum Ziel gesetzt, den gesamten Bestand von derzeit einigen tausend bis zum Jahr 2050 auf mehr als 500 000 Individuen zu steigern.

In Inning ist bereits einiges dafür geschehen: Da ist zum Beispiel der Katzenbach, der in den Inninger Bach mündet und lange Zeit gar nicht wahrzunehmen war, eingesperrt in Rohren wie er einst war. Ein paar Scherben aus Steinzeug, die noch herumliegen, zeugen noch von dieser Zeit. Doch im Zuge der Realisierung des Interkommunalen Gewerbeparks auf der gegenüberliegenden Seite der Bundesstraße 471 wurde der Bach wieder geöffnet und fließt nun in seiner renaturierten Form wieder munter vor sich hin. Das Gewässer dritter Ordnung transportierte bislang Hang- und Schichtwasser aus den land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken, mittlerweile jedoch auch das Oberflächenwasser aus dem Gewerbepark. Die dort ansässigen Unternehmen wurden allesamt verpflichtet, auf Salzstreuung im Winter zu verzichten, Überlaufbecken zu bauen und das Oberflächenwasser zu reinigen - zum Schutz der Bachmuschel, die sauberes Wasser mit sandig-kiesigem Sediment braucht und nur sehr wenig Nitrat-Stickstoff vertragen kann. Auch das ist ein Grund, warum am Inninger Bach noch weitaus mehr geschehen muss. Denn gerade im Bereich nördlich der Autobahn ist das Gewässer in weiten Teilen von Wiesen- und Ackerland umgeben. "Wir bräuchten allein hier dringend weitaus breitere Uferstreifen", sagt Madeker. Doch ganz so einfach geht das nicht, denn dafür müsste die Gemeinde sich mit den Grundstückseigentümern einig werden. An anderer Stelle jedoch ist dies bereits geschehen: So wurde der Inninger Bach in Höhe des Edeka-Marktes längst renaturiert, im Zuge der Umgestaltung der Zufahrt zur Gärtnerei Hübsch soll - wenn es nach Bürgermeister Walter Bleimaier geht - der Bach außerdem noch an dieser Stelle naturnah umgestaltet werden.

Im Ortskern selbst ist von ihm nicht viel zu sehen, denn er verläuft direkt unter der Herrschinger Straße entlang. Daran, so meint auch Bleimaier, könne man nur wenig ändern, allenfalls punktuell - so zum Beispiel im Bereich der Mühlstraße, wo der Bach zu sehen ist. "Aber das wäre wohl nur Kosmetik." Dennoch will Bleimaier alles für den Erhalt der Bachmuschel tun. Das heißt, er wird sich wohl eines Tages auch noch in Verhandlungen mit den Ackerbesitzern begeben müssen und über brachliegende Maisfelder sprechen. Denn gerade letztere stellen eine große Gefahr dar - wegen der Erosion bei starken Regenfällen, die Sediment und Nitrat oder Phosphat in das Gewässer bringen. Wünschenswert wäre zumindest eine extensivere Nutzung der Randstreifen dieser Flächen, so sagt auch Katharina Stöckl von der Koordinationsstelle für den Muschelschutz, die zum Landesamt für Umwelt gehört, aber an der TU München in Weihenstephan angesiedelt ist. Aber theoretisch gebe es auch noch andere Möglichkeiten: Grundstückskäufe durch die Gemeinde selbst, die Bereitstellung von Ausgleichsflächen an anderer Stelle und finanzielle Entschädigungen durch diverse Programme wie beispielsweise dem Naturschutzvertragsprogramm.

Nicht wasserscheu: Ursula Madeker, neue Muschel-Beraterin von der Unteren Naturschutzbehörde. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Aber um hier in medias res zu gehen, müssen detailliertere Erkenntnisse über die Bachmuschel im Inninger Bach vorliegen. Ein Student, Maximilian Dietrich, widmet sich derzeit im Rahmen einer Bachelorarbeit dem Inninger Bach etwas genauer. So untersucht er mit Proben die Gewässerqualität in den verschiedenen Bachabschnitten und auch, wie viel Feinsediment im Bach transportiert wird. Ein wichtiger Faktor für die Bachmuschel, denn zu viel Sediment verstopft die Lücken im Kies und führt zu einem Sauerstoffmangel an diesen Stellen, was die Jungmuscheln absterben lässt. Eine ähnliche Gefahr droht aber auch durch den Biber, der mit seiner Eigenheit, Dämme zu bauen, bisweilen der Bachmuschel sehr gefährlich werden kann. Daher muss der Inninger Bach regelmäßig kontrolliert werden . Eine Aufgabe, die künftig die ehrenamtlichen Muschelberater in Abstimmung mit dem Biberberater übernehmen sollen.

Doch es gibt noch einen weiteren triftigen Grund, den Inninger Bach regelmäßig zu begutachten: Denn ihm bereiten nicht nur zu viele Regenfälle Probleme, sondern auch zu wenige. Regelmäßig fällt der Oberlauf des Baches trocken - eine tödliche Gefahr für die Bachmuschel. Und dann ist da ja auch noch die Herkulesstaude, die wegen ihrer schnellen und wuchernden Verbreitungsweise eine Bedrohung der Artenvielfalt darstellt. Und noch ein Punkt spricht gegen sie. Ihre Wurzeln haben keine böschungsfestigende Wirkung, das heißt: Der Riesen-Bärenklau fördert die Erosion. Und diese wiederum bedroht den Bestand der Bachmuschel. Die Herkulesstaude wird also beseitigt werden müssen. Der Weg wäre dann frei für den neugierigen Menschen, der sich auf Entdeckungstour zu der Bachmuschel begibt. Aber dieser muss rasch aufgeklärt werden. Deshalb gebe es ja den Loisl, sagt Madecker.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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