Herrschinger Treffpunkt:Mehr als nur Blabla

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Das interkulturelle Café im Herrschinger Kino leistet Migranten Hilfe zur Selbsthilfe. Am Montag feiert die Vorzeigeeinrichtung ihren ersten Geburtstag

Von Armin Greune, Herrsching

Im Eck sitzen drei junge Männer aus Sierra Leone und dem Senegal, sie spielen Dame und unterhalten sich leise auf Wolof. Ein Flüchtling mit nicht ganz so dunkler Hautfarbe hockt vor dem Laptop: Der Bildschirm ist von seltsamen Zeichen bedeckt, die einen Text auf Tigrinya wiedergeben. Während Ido auf dem Sofa eine Botschaft in sein Handy tippt, die wohl auf Kurmandschi verfasst ist, gibt Jawad eine Frage auf seinem Arbeitsblatt weiter: "Warum bin ich eingeschlafen und nicht habe eingeschlafen?"

An diesem Freitag macht das Café Blabla seinem Namen wieder einmal alle Ehre. Seit fast einem Jahr existiert der offene Treff für Flüchtlinge und Herrschinger im Foyer des "Breitwand"-Kinos, an diesem Montag wird das Jubiläum mit einem internationalen Fest gefeiert. Dort ist auch die Idee zur Anlaufstelle entstanden: nachdem er den Film "Café Ta'amon" über ein legendäres Lokal in Jerusalem gesehen hatte, wie Claus Wecker erzählt. Der Jurist ist Mitinitiator der Gruppe von zehn Aktiven, die sich zum Verein "Wir schaffen das" organisiert haben. Wecker sprach Johanna Neubauer-da Luz an, die im Herbst 2015 ein multikulturelles Kulturprogramm zur Herrschinger "Woche der Toleranz" auf die Beine gestellt hatte. Sie nahm dazu Kontakt mit Flüchtlingen in der Weßlinger Turnhalle auf, noch bevor diese das erste Containerdorf des Landkreises beziehen konnten. Als Vorläufer von Café Blabla startete Ende 2015 die Begegnungsstätte in der "Herrschinger Insel", wo sich sonntags Asylsuchende und Bürger trafen. "Es kamen immer mehr Leute", erzählt Neubauer; bald wurde es in der Insel zu eng und der Wunsch nach häufigeren Treffen laut, bei denen sich Helfer austauschen können - nach einem Ort, wo geratscht, gespielt und gelacht wird. Vor allem aber sollen Migranten hier Unterstützung beim Spracherwerb sowie bei der Job- und Wohnungssuche erhalten.

Zur juristischen Beratung werden die Asylbewerber meist an Fachanwälte vermittelt, doch gelegentlich greift auch Wecker selbst ein. Kürzlich hatte er eine neunstündige Anhörung mit einer jungen Frau aus dem Nahen Osten im Bundesamt für Migration zu überstehen, die währenddessen mehrmals zusammenbrach. Sie stamme aus einem "sicheren Herkunftsland", sei dort aber als Kind zwangsverheiratet, zusammengeschlagen, missbraucht und vergewaltigt worden. Name und Nation will Wecker nicht nennen, weil seine Mandantin selbst nach dreieinhalb Jahren in Deutschland immer noch um ihr Leben fürchtet. Der Anwalt ist zuversichtlich, dass sie ein Aufenthaltsrecht erhält.

Aber es gibt auch schlechte Nachrichten im Café Blabla: Ibrahim, ein 19-jähriger Senegalese, muss binnen einer Woche ausreisen. Mit 14 ist er aufgebrochen, in der naiven Hoffnung als Fußballer in Europa Karriere zu machen. Seit einem Jahr lebt er in Herrsching und hat sich dort mit seinem Engagement und seiner freundlichen Ausstrahlung nicht nur im Sportverein viele Freunde gemacht. Von Montag an hätte er einen Job antreten können, erzählt Christiane Gruber: "Nach Hause kann er nicht, weil er mit nichts als leeren Händen zurückkommt". "Mein Problem ist, dass mein Land kein Problem hat", habe Ibrahim sein Schicksal kommentiert.

Gruber gehört zu einem der drei Zweierteams von Helfern, die mittwochs, freitags und samstags gemeinsam mit Migranten den Cafébetrieb managen: Ein afghanischer Konditor etwa backt Süßigkeiten nach Rezepten aus seiner Heimat. Kaffee und Tee kosten einen Euro, so kann der Verein mitarbeitenden Asylbewerbern auch ein symbolisches Honorar zahlen. Petra Geschwinder hat mit Gruber ehrenamtlich "Dienst" und beklagt, dass viele Flüchtlingsfrauen nicht ins Café kommen dürfen. Um auch sie zu erreichen, will Geschwinder einen Radfahrkurs für Frauen am Containerdorf anbieten.

Ausweispapiere, Arbeitserlaubnis, Arztbesuch: Es gibt viele Gründe, warum Asylsuchende immer wieder Ämter aufsuchen müssen. Manchmal fahren sie um vier Uhr früh mit dem Bus nach Starnberg, um nach einem Tag im Landratsamt unverrichteter Dinge wieder heimgeschickt zu werden, sagt Gruber: "Als Pate lernt man die deutsche Bürokratie neu kennen." Dabei seien die Beamten durchaus freundlich und kooperativ, aber oft überfordert.

Ido hat nach dem Bürger- auch den Papierkrieg weitgehend hinter sich: Der jesidische Syrer ist als Flüchtling anerkannt, seit sechs Wochen sind auch seine Frau und die sechs Kinder in Herrsching. Sogar eine Wohnung in Steinebach hat die Familie in Aussicht. Jawad hingegen sucht noch dringend ein Zimmer. Der 27-jährige anerkannte Asylbewerber aus Afghanistan ist von Beginn an Stammgast oder Personal im Café, spricht schon ganz gut deutsch und hat einen festen Job als Webdesigner. Zudem besucht Jawad abends einen Deutschkurs, denn er will an der Ludwig-Maximilians-Universität seinen Master als Programmierer machen. Für ihn wäre es wichtig, bald aus dem Containerdorf ausziehen zu können - denn dort ist eine neue Generation von Flüchtlingen angekommen, die tagsüber noch zur Tatenlosigkeit verurteilt ist, dafür aber nachts umso ausgiebiger feiert, wie Neubauer sagt.

265 Flüchtlinge, darunter 87 Kinder, sind derzeit in Herrsching untergebracht, etwa 160 davon leben im Containerdorf. Für viele von ihnen ist das Café Blabla ein Stück neue Heimat geworden, die Einrichtung hat ein ermutigendes erstes Jahr hinter sich. Bis zum nächsten Geburtstag aber muss "Wir schaffen das" ein neues Domizil finden, denn im März wird das Kino endgültig schließen.

Jubiläumsfest am Montag, 3. April, von 18 Uhr an mit Essen aus Afghanistan, Italien, Syrien und Bayern . Die famose "Hochzeitskapelle" mit Micha und Markus Acher spielt live "Rumpeljazz.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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