Herrsching:Sorge um Frauen und Kinder

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Gemeinde lässt Zuständigkeit für Familiennachzug juristisch prüfen

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Bürgermeister Christian Schiller ist aufgebracht. "Da läuft etwas gewaltig schief", ärgerte er sich. Die ersten Familiennachzügler, für die frisch anerkannte Herrschinger Flüchtlinge Visa beantragt haben, hätten sich angekündigt. "Jeweils fünf bis sechs Personen", erklärte Schiller. Das Problem: Die Gemeinde weiß nicht, wo die Menschen wohnen sollen.

Die 319 Sozialwohnungen am Ort sind belegt, "400 Personen mit Wohnberechtigungsschein stehen auf der Warteliste", verdeutlicht der Rathauschef die akute Notlage in Herrsching. Von der Regierung und dem Landratsamt gibt es keine Unterstützung. "Mir wurde gesagt, dass die Unterbringung alleine Sache der Kommunen ist", berichtete Christian Schiller. Die Rechtmäßigkeit dieser Aussage bezweifelt er. Mit 15 : 7 Stimmen beschloss der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, "der die gemeindlichen Interessen in den Fällen des Nachzugs von Familienangehörigen von anerkannten Asylbewerbern gegen Landkreis, Regierung von Oberbayern, Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Unterbringungspflicht und Kostenübernahmepflicht vertritt", heißt es in der Sitzungsvorlage. Kurz: "Wer ist für den Familiennachzug zuständig?" und "Wer trägt die Kosten?". Die Antwort darauf könnte bundesweite Auswirkungen haben. Schließlich sei die Frage bisher noch nicht rechtlich geprüft worden, sagte Schiller.

Heftig hatten die Gemeinderäte zuvor über den bevorstehenden Familiennachzug aus den kriegsführenden Ländern diskutiert. Frauen und Kinder werden erwartet. Sie sollen anständig untergebracht werden. Eine Lösung der Wohnungsmisere ist allerdings nicht in Sicht.

Bis vor einem Jahr hätten Flüchtlinge, die ihre Familien nachholen wollten, nachweisen müssen, dass sie den Unterhalt und die Unterkunft stemmen könnten, so Schiller. Jetzt gelte, dass Angehörige innerhalb von drei Monaten nach der Anerkennung ohne derartige Nachweise kommen könnten. "Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung Gesetze ändert und die Auswirkungen einfach an die Kommunen weiterreicht", ärgerte sich der Bürgermeister. Für die Gemeinden könne dies "ruinös" werden.

Bereits jetzt hat Herrsching 100 Flüchtlinge mehr aufgenommen, als es der vom Landkreis beschlossene Bevölkerungsproporz vorsieht. Falls 200 von ihnen durchschnittlich drei bis vier Angehörige nachkommen lassen wollten, "dann brauchen wir 600 Betten in Herrsching", rechnete Schiller vor. Auf den Landkreis hochgerechnet würden 100 000 Quadratmeter Wohnraum oder rund 4000 Betten fehlen, so der Bürgermeister. Er befürchtet schon, dass er für die Unterbringung womöglich Turnhallen beschlagnahmen müsse.

Zynisch empfinde er den Ratschlag aus dem Landratsamt, Herrsching solle für die Flüchtlingsfamilien Pensionszimmer anmieten. Diese seien in der Sommersaison in Herrsching kaum erhältlich. Neben dem Wohnraum müssten auch Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden. "Der Christian-Morgenstern-Volksschule fehlen drei bis fünf Klassen", wusste Schiller. Für eine Erweiterung gebe es ebenfalls keine Zuschüsse von der Regierung. "Wir haben solidarisch gemeinsam die Flüchtlingswelle gemeistert. Aber jetzt werden die Kommunen alleine gelassen", beklagt Schiller. Landrat Karl Roth soll jetzt in einer der nächsten Sitzungen Rede und Antwort stehen.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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