Andechser Kirchenmusiker:Pfell baut auf

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Von wegen Ruhestand: Anton Luwig Pfell an seiner Heimorgel in Andechs. (Foto: Nila Thiel)

Nach seinem Abschied vom Heiligen Berg in Andechs hat der 65-jährige Kirchenmusiker Anton Ludwig Pfell eine neue Stelle in Herrsching angetreten. Am Karfreitag gibt er seinen Einstand

Von Gerhard Summer, Herrsching

Das ist schon ein schöner Zufall: Johann Sebastian Bach hatte sich am 7. April 1724 mit seiner Johannes-Passion in der Nikolaikirche dem Leipzig Publikum vorgestellt. Und Anton Ludwig Pfell wird am Karfreitag 2016 mit diesem Werk seinen Einstand in der Herrschinger Pfarrkirche St. Nikolaus geben. Natürlich, Herrsching ist nicht Leipzig, und Pfell ist beileibe nicht Bach, in seinem Fall geht es auch nur um einen Mini-Job. Denn eigentlich ist der 65-jährige Kirchenmusiker und Organist, der dem Heiligen Berg 35 Jahre lang Klang gab, in Andechs zwei Chöre und ein Projektorchester gründete und die inzwischen gecancelten Carl-Orff-Festspiele mit auf den Weg brachte, seit September 2015 in Rente. Er verlängerte noch um fünf Monate und gab an Heilig-Drei-König seinen Abschied an der Jann-Orgel der Wallfahrtskirche Andechs.

Schon vorher war klar: Ruhestand und Pfell, das passt nicht zueinander. Dazu ist der Dirigent mit Hang zur Oper, der im rumänischen Galati schon Verdi dirigiert hat und nebenbei einen Kirchenchor in Palermo leitet, viel zu umtriebig und neugierig. Also griff Pfell zu, als sich ihm die Gelegenheit bot, wie einst in Andechs Aufbauarbeit zu übernehmen: Seit Februar ist er im Nachbarort Herrsching für die Kirchenmusik zuständig. Die Stelle dort war lange nur nebenamtlich besetzt, einen Kirchenchor gab es nicht mehr, einzig den Organisten Peter Gruber, der im November 2015 aus Altersgründen aufhörte. Aus Pfells Sicht ist das Ganze ein absoluter Glücksfall, zumal der Herrschinger Pfarrer Simon Rapp jung und aufgeschlossen sei. Denn der Organist und Dirigent liebt es, Pionier zu sein. "Ich beginne dort jetzt ganz neu", sagt er.

Pfell ist es gelungen, für die Passion vom Leiden und Sterben Jesu Christi die nötige große Besetzung aufzubieten. Mit dabei ist ein 60-köpfiger Projektchor aus der Region, dazu das Orchester Camerata Langmann, benannt nach der Geigerin Johanna Langmann, die Lehrerin an der Musikschule Herrsching ist. Und als Solisten treten Profis an, mit denen Pfell schon öfters zusammengearbeitet hat oder befreundet ist: die Altistin Rita Kapfhammer, eine gebürtige Tölzerin, die vormals Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater München war, die Sopranistin Susanne Winter aus Gauting, Bariton Simon Schnorr, der am Landestheater Salzburg singt, Bass Raphael Sigling und Tenor Kevin Conners, der die Rolle des Evangelisten übernimmt.

Auch in diesem Fall schließt sich der Kreis: Conners war schon vor etwa 20 Jahren mit von der Partie gewesen, als Pfell seine erste Johannes-Passion in Andechs dirigierte. Und Schnorrs Vater, der berühmte Organist Klemens Schnorr, hatte das Projekt mit dem Chor der Kirche La Nostra Seniora della Nationali begonnen, das Pfell jetzt fortführt. Im April und Mai wird er die sizilianischen Sänger wieder für jeweils eine Woche betreuen. Weil das Gotteshaus auf der Piazza Europa steht, gibt es dort jährlich eine Europäische Woche mit Musik und Gesang.

Conners ist aus Pfells Sicht die ideale Besetzung für den Part des Evangelisten, weil er "kein Schönsinger ist" und die Geschichte der Passion "sehr nachdrücklich" vermitteln könne. Denn im Gegensatz zu Bachs lyrischer und stiller Matthäus-Passion gehe es in diesem Werk darum, den dramatischen Verlauf zur Wirkung zu bringen. Die Golgota-Szenen zum Beispiel - "da geht es Schlag auf Schlag, das wird so richtig durchgepeitscht", sagt Pfell. Oder die Choräle, die andere Interpreten gerne distanziert und neutral halten - in der Fassung des erfahrenen Kirchenmusikers bekommen sie Farbe und Prägung. Sobald der Text auf ein Ich bezogen ist, neigt Pfell zum introvertierten Ton. Wenn es bei Bach zur Sache geht ("Wer hat dich so geschlagen"), reagiert der Dirigent mit Kantigkeit und schaltet auf forte um. Ohnehin ist er der Ansicht: Diese Passion sei die "einzige Oper, die Bach komponiert hat", eben wegen ihrer Dramatik.

Historische Aufführungspraxis? Pfell ist "nicht ihr größter Fan", obwohl er einige Ideen übernommen hat und die Forschung auf diesem Gebiet für richtig und wichtig hält. Trotzdem geht er seinen eigenen Weg. So werden die Musiker auf modernen Instrumenten spielen. Und Pfell erlaubt es sich, die Tempi nach Gefühl anzusteuern und "manchmal Dinge zu machen, die stilistisch anstößig sein könnten". Letztlich komme es auf den Augenblick an: "Das ist ja das Schöne am Konzert, dass es jedesmal anders sein wird, das kommt ganz auf den Verlauf an".

Die ungewöhnliche Entwicklung und der Zufall finden sich auch in seiner Vita wieder. Pfell, einer der erfahrensten Kirchenmusiker im Fünfseenland, stammt aus einer Bauernfamilie aus dem Bayerischen Wald, aus Ederlsdorf bei Obernzell. Weder seine Eltern noch seine Großeltern spielten ein Instrument. Der Bub durfte auf die Schule. Er wollte aber weder Lehrer noch Priester werden, was noch am ehesten toleriert worden wäre. Nein, Pfell studierte an der Regensburger Hochschule für katholische Kirchenmusik. 1981 trat er das Amt in Andechs an, obwohl ihm alle Freunde abrieten. Ihre Begründung: Das sei doch ein Dorf, die Orgel in der Kirche schlecht, so etwas wie Musikleben nicht vorhanden. Für Pfell, der nach wie vor ein klösterliches Häuschen auf dem Heiligen Berg bewohnt, war Andechs trotzdem fast schon paradiesisch. Er organisierte Serenaden, Liederabende und Orgelkonzerte, später Oratorien. 2005 bekam die Wallfahrtskirche eine neue Orgel - für Pfell ging ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.

Bei allen Parallelen zwischen der Situation in Andechs in den Achtzigerjahren und Herrsching heute - zumindest beim Instrument muss Pfell keine Abstriche machen. Die Orgel der Nikolauskirche "ist sehr gut", sagt der Musiker, der an seiner neuen Wirkungsstätte künftig auch Oratorien wie Händels "Dettinger Te Deum" aufführen will. Sie stammt von Riegner & Friedrich. Wie es der Zufall will: Anton Ludwig Pfell war mit dem früh gestorbenen Instrumentenbauer Günter Riegner befreundet.

Bachs Johannes-Passion erklingt am 25. März, 19 Uhr, in der Herrschinger Pfarrkirche . Karten an der Abendkasse und im Vorverkauf unter anderem im Hotel Seehof und der Adresse pfell50@aol.com.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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