Herrsching:Gravitätisch

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Die Goldberg-Variationen in der Fassung für Streichtrio

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Die deutsche Geigerin Rebecca Martin und der portugiesische Cellist von Madeira Luis Gomes Andrade sind Mitglieder des aufstrebenden Netherlands Symphony Orchestra. Zusammen mit dem deutschen Bratscher Christian Friedrich bilden sie das Streichtrio des Netherlands Symphony Orchestra. Ein Name, der irgendwie imposant und bedeutend klingt und daher wohl auch eine so zahlreiche Hörerschaft ins Kurparkschlösschen Herrsching zu locken vermochte. Ein weiterer Magnet waren zweifelsohne Bachs Goldberg-Variationen, die schon wegen ihrer mysteriösen Entstehungsgeschichte etwas Magisches an sich haben. Hermann Carl von Keyserlingk, Diplomat in russischen Diensten und Bach-Förderer, soll die "Aria mit verschiedenen Veraenderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen" zur Unterhaltung in seinen schlaflosen Nächten in Auftrag gegeben haben. Sein Hausmusikus Johann Gottlieb Goldberg soll sie ihm vorgespielt haben. Doch hätte der damals erst 13- oder 14jährige Cembalist ein Genie sein müssen, um diese anspruchsvollen Stücke bewältigen zu können. Wie auch immer: Das ungelöste Rätsel um die Entstehungsgeschichte umgibt das großartige Werk mit einer geradezu mystischen Aura.

Die Einrichtung der Goldberg-Variationen für Streichtrio bleibt eng am Original, zumal die meisten dreistimmig sind. Bei zweistimmigen Variationen setzte daher ein Instrument aus. Dennoch verändert die Übertragung auf Streicher das Werk in der Charakteristik, erst recht, weil die drei jungen Musiker mit satter Substanz sehr plastisch formten. Der zeitstilistisch passende Verzicht auf Vibrato behielt zwar den barocken Klang im Fokus. Doch die filigrane und schlanke Tonbildung des Cembalos wich einer voluminösen, bisweilen gravitätischen Klanglichkeit, die vor allem den Gedanken an nächtliche Kammermusik nur schwer zuließ. Aber ein Streichtrio hat auch seine Vorzüge, wenn es darum geht, die einzelnen Stimmen für sich zu phrasieren, was am Cembalo in dieser Deutlichkeit gar nicht möglich ist. Gerade die Basslinie, die Grundlage der Variationen, konnte deutlich nachvollzogen werden, zumal das Ensemble auch die Gleichbehandlung der Stimmen beibehielt und die Begleitung nicht zurücknahm.

Gerade an Stellen mit extremen und verdichteten Modulationen verliehen die so exponierten Dissonanzen der Musik bisweilen einen sehr modernen Eindruck, der im barocken Kontext verstärkt Dramatik aufkommen ließ. Grundsätzlich trat im Streichtrio jede Ausprägung stärker hervor. Bei Tänzen geriet die Rhythmisierung stets beschwingt, konnte auch mächtig mitreißen, zumal das Ensemble mit deutlicher Pointierung nachhalf. Das gemäßigte Tempo in der Ausführung blieb knapp unter der Grenze zur Bravour und Virtuosität, sodass in erster Linie eine höfische Feierlichkeit den Zyklus zusammen hielt, wenn auch bisweilen allzu nah am Pathos. Drängende Unruhe, die am Cembalo eher unterschwellig spürbar wird, trat hier immer wieder in den Vordergrund, während die reiche Gestaltung wiederum der Lyrik mit einer der Cembalo-Monotonie entgegenwirkenden Lebendigkeit nur wenig Melancholie übrig ließ. Um so wirkungsvoller erschien die Rückkehr der Aria am Schluss, die nach einer weiten Entwicklung jetzt schlank und leicht, damit wesentlich poetischer daherkam. Lang anhaltender Applaus und eine Wiederholungszugabe.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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