Neue Eigentümer der Schindelbeck-Klinik:Forschen und expandieren

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Geschäftsführer Jan Schlüchter erklärt, warum das amerikanische Unternehmen Myriad Genetics die Schindelbeck-Klinik gekauft hat und was es damit vorhat

Interview von Christine Setzwein, Herrsching

Jan Schlüchter pendelt gerade ziemlich oft von Zürich nach Herrsching. Der 42-Jährige ist verantwortlich für das Europageschäft des amerikanischen Unternehmens Myriad Genetics. Und Myriad ist neuer Eigentümer der Privatklinik Dr. Robert Schindlbeck. Der Betriebswirt war mehr als zehn Jahre bei einem großen Pharma-Unternehmen, bevor er 2015 als Chief Commercial Officer zu Myriad kam. Im SZ-Interview erläutert er, was die Aktiengesellschaft mit Sitz in Salt Lake City in Herrsching vorhat.

SZ: Die wenigsten Leser werden mit Myriad Genetics etwas anfangen könne. Was macht Myriad und wer steht dahinter?

Jan Schlüchter: Myriad ist ein Biotechnologie Unternehmen, welches auf die molekulare Diagnostik spezialisiert ist. So bieten wir unterschiedliche genetische Tests an und beantworten Fragen, die Patienten besonders wichtig sind: Werde ich eine spezielle Krankheit bekommen? Habe ich diese Krankheit bereits? Soll ich diese Erkrankung behandeln? Wie soll ich diese Erkrankung behandeln? So führen wir weltweit die meisten genetischen Untersuchungen auf erbliche Krebsrisiken durch. Neben dem Schwerpunkt in der Onkologie entwickeln wir auch Tests in der Urologie, Rheumatologie, Neurologie oder Dermatologie. Myriad geht auf Nobelpreisträger wie Walter Gilbert zurück, der auch Mitbegründer der Firma vor 25 Jahren in Salt Lake City war und heute in unserem Aufsichtsrat tätig ist.

Jan Schlüchter (li.), Geschäftsführer von Myriad Genetics, und Robert Schindlbeck, Geschäftsführer der Klinik Dr. Robert Schindlbeck, haben viel vor. (Foto: Arlet Ulfers)

Können Sie uns noch etwas näher erläutern, was Sie den Patienten hier in Deutschland anbieten?

Myriad hilft, Medizin zu personalisieren. Nehmen wir das Beispiel Brustkrebs: Nach der operativen Behandlung stellt sich die Frage: Ist eine Chemotherapie wirklich notwendig, um das Risiko einer erneuten Krebserkrankung zu reduzieren? Wir bieten hierzu hochspezialisierte Testverfahren an, die das Risiko aufzeigen. Dies hilft, unnötige Chemotherapien und deren massiven Nebenwirkungen zu vermeiden. Als zweites bieten wir Tests an, bevor ein Mensch erkrankt. Dies ist gerade für Frauen und Männer interessant, in deren Familien gehäuft Krebsfälle aufgetreten sind. Das MVZ für Molekulardiagnostik, welches zur Fachklinik Dr. Schindlbeck gehört, bietet die derzeit sensitivsten Testverfahren zur Abklärung eines persönlichen genetischen Krebs-Risikos an. Als drittes werden unsere Tests auch vor der Verschreibung spezieller Chemotherapien, zum Beispiel der sogenannten PARP-Inhibitoren, eingesetzt. Nur Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Ansprechen sollten hiermit behandelt werden.

Warum hat sich Myriad für die Schindlbeck-Klinik in Herrsching entschieden?

Als forschendes Biotechnologie Unternehmen haben wir gezielt nach einem innovationsfreundlichen Umfeld mit gut ausgebildeten Fachkräften gesucht. Der Münchner Südwesten mit dem Biotech-Cluster in Martinsried erfüllt diese Bedingungen hervorragend. Hier finden wir eine enge Vernetzung von Forschung und klinischer Spitzenmedizin. Die Fachklinik Dr. Schindlbeck in Herrsching ist hierbei ideal positioniert: führend in ihrem Gebiet, ganz in der Nähe und ein außergewöhnlich positives Klima für Patienten und Mitarbeiter. Dies passt bestens zur nachhaltigen Philosophie unseres Unternehmens.

Die Schauspielerin Angelina Jolie ist eine der berühmtesten Patientinnen von Myriad Genetics. (Foto: Dan Himbrechts/dpa)

Was hat Myriad mit der Schindlbeck-Klinik vor?

Die Fachklinik Dr. Schindlbeck ist wiederholt in vielen Qualitätserhebungen als eine der besten Kliniken im Bereich der Inneren Medizin bewertet worden - auch bundesweit. Der Bedarf an internistischer und onkologischer Versorgung steigt stetig. Ich meine, die laufende Diskussion um den erhöhten Bedarf an internistischen Planbetten im Landkreis zeigt dies eindrucksvoll. Daher planen wir für weiteres Wachstum. Wir möchten noch mehr Patienten erreichen und unseren Anteil weiter ausbauen, natürlich auf unserem hohen Qualitätsniveau. Zusätzliche Akzente möchten wir in der Onkologie setzen.

Aber Platz für Erweiterungen gibt es in Herrsching nicht mehr. Wie muss man sich das Wachstum dann vorstellen?

Wachsen können wir in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel in dem wir unser Versorgungsangebot mit neuen Leistungen wie der genetischen Beratung ergänzen oder weitere Fachdisziplinen hinzunehmen. Dies kann in den bestehenden Räumlichkeiten erfolgen oder indem wir die Klinik weiter ausbauen. So gibt es beispielsweise ein Areal auf dem Klinikgelände, das mit einem Glasgang an den bisherigen Bestand der Klinik angebunden werden könnte, sogar mit eigener Anfahrt. Dies ist alles denkbar, und das schauen wir uns in Ruhe an. Vorrang hat zunächst die bestmögliche Nutzung der vorhandenen Kapazitäten, die durch zahlreiche Neubaumaßnahmen in den letzten Jahren bereits stetig erweitert wurde.

Gegründet hat das amerikanische Unternehmen der Chemie-Nobelpreisträger Walter Gilbert. (Foto: Sven Simon/Imago)

Was haben die Patienten davon, und wie wird sich das auf das Personal auswirken?

Unseren Patienten stehen heute bereits modernste Behandlungsverfahren im Bereich der Kardiologie oder Gastroenterologie ganz in der Nähe ihres Wohnortes zur Verfügung. Wir werden diese fortlaufend durch neuste Methoden ergänzen. Zudem ist die Fachklinik Dr. Schindlbeck hervorragend aufgestellt, um die vom Klinikum Starnberg benannte Versorgungslücke zu schließen. Die Ausweitung unseres Angebotes im Landkreis ist ein großer Ansporn für unsere Mitarbeiter in Klinik und Labor. Unser Ziel ist die erweiterte Versorgung für alle Patienten, auch in der Onkologie, zu gewährleisten, das schafft weitere Arbeitsplätze und sichert die bestehende medizinische Versorgung nachhaltig.

Kann sich Myriad eine Zusammenarbeit mit der Kreisklinik vorstellen? Wenn ja, wie?

Wir haben unsere Bereitschaft zur Weiterführung der Zusammenarbeit mit der Klinik Seefeld frühzeitig bekundet. Dies halten wir für sinnvoller als eine künstliche Konkurrenzsituation zu schaffen, in der zwei Kliniken innerhalb von fünf Kilometern internistische Leistungen anbieten, dazu noch auf sehr unterschiedlichem Niveau. Das würde letztlich den Patienten im westlichen Landkreis schaden. Die für den Patienten beste und zudem auch kostengünstigste Lösung wäre, die chirurgischen Betten des Krankenhauses Seefeld durch die bestehende moderne Infrastruktur der Fachklinik Dr. Schindlbeck in Herrsching zu unterstützen. Eine solche Kooperation kann Synergien nutzen. Unser Angebot an Starnberg zu einer engen Kooperation besteht daher weiterhin.

Wie soll denn die Forschung in Herrsching aussehen?

In der Onkologie findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. Ein gutes Beispiel ist der Einsatz der Chemotherapie bei den häufigsten Krebserkrankungen, wie dem Brustkrebs der Frau oder dem Prostata-Karzinom des Mannes. Durch den Einsatz genetischer Biomarker können schon heute Patienten identifiziert werden, die auf eine bestimmte Therapie besser ansprechen als andere. Solche "Companion Diagnostics" erhöhen die Wirkungswahrscheinlichkeit von Medikamenten und helfen Nebenwirkungen zu mindern, ein deutlicher Gewinn für die Patienten. Andere Biomarker helfen Patienten zu identifizieren, die eine gezielte Vorsorge aufgrund einer hohen persönlichen Erkrankungswahrscheinlichkeit benötigen. Ein gutes Beispiel ist das erbliche Brust-Krebsrisiko, das Myriad mit dem so genannten Angelina-Jolie-Test ermittelt. Die Entwicklung solcher Biomarker ist ein Kerngebiet von Myriad. Dazu haben wir enge Kooperationen mit Kliniken und forschenden Arzneimittelunternehmen weltweit. Durch die enge Vernetzung zwischen unserem Labor in Martinsried und der Klinik in Herrsching können wir klinische Versorgungskonzepte weiterentwickeln und solche molekularen Biomarker besser in die klinische Versorgung integrieren. Gemeinsam wenden wir die neuesten Ergebnisse bei Diagnostik und Therapie in Zusammenarbeit mit unseren klinischen Partnern an.

In München gibt es ein Tumorzentrum, die Kliniken Starnberg und Seefeld haben ein Tumorboard, bei dem Experten verschiedener Fachrichtungen den medizinischen Zustand und die Behandlungsmöglichk eiten eines Patienten prüfen und diskutieren. Sie planen ein Kompetenzzentrum für Onkologie. Was ist der Unterschied?

Ein Kompetenzzentrum kann bestehende Tumorzentren sinnvoll ergänzen. Ein Expertenteam kann schneller neue Ansätze für die Patientenversorgung entwickeln, die in einem Tumorzentrum durch den Fokus auf definierte Therapiepfade nach Leitlinien schwerer zu realisieren sind. Wir arbeiten daher eng mit diversen Tumorzentren in der Region zusammen und können über unser Kompetenzzentrum zusätzliche innovative Impulse geben und klinische Studien machen, die das Behandlungsspektrum für Betroffene und Ratsuchende erweitert.

Wie sehen Sie die Klinik-Landschaft in der Region München?

Wie sich die erheblichen Umstrukturierungen der Krankenhauslandschaft München Stadt auf das westliche Umland auswirken werden, kann man noch nicht absehen. Fest steht jedoch, dass durch den laufenden Bevölkerungszuwachs in der Stadt München, und vor allem im Einzugsgebiet der S-Bahn Linie 8 zwischen Pasing und Herrsching, zusätzliche Kapazitäten in der Krankenhausversorgung erforderlich sein werden. Derzeit besteht eine gute Versorgung in der Breite. Die individualisierten Versorgungsangebote sind allerdings noch verbesserungswürdig. Das Umfeld für klinische Forschung ist jedenfalls hervorragend.

Denkt Myriad an weitere Standorte in Deutschland?

Individualisierte Behandlungsangebote sollten nicht nur auf wenige Zentren begrenzt sein. Zudem ist die wohnortnahe Versorgung ein wichtiges Qualitätsmerkmal der deutschen Medizin. Daher ist es unsere Überzeugung, dass höchste Qualitätsmedizin möglichst nah beim Patienten stattfinden sollte. Auch werden wir unsere Kompetenz nicht nur im Großraum München anbieten. Daher denken wir natürlich über weitere Standorte nach.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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