Herrsching:Eine Redaktion - viele Meinungen

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Christian Krügel, Andreas Bachmann, Moderator Alex Dorow und Georg Anastasiadis debattieren mit Lesern und Hörern. (Foto: Georgine Treybal)

Zeitungs- und Hörfunkjournalisten diskutieren auf Einladung der Frauen-Union über den "Vertrauensverlust in die Presse"

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Die gute Nachricht vorweg: Die Vertrauensfrage wurde der Presse an diesem Abend nicht gestellt. Die Besucher der von der Herrschinger Frauen-Union (FU) initiierten Podiumsdiskussion im Andechser Hof sparten aber nicht an Kritik. Einseitig, gelenkt, zu subjektiv, lauteten einige der Vorwürfe, die sich Christian Krügel, Ressortchef für München, Region und Bayern der Süddeutschen Zeitung, Georg Anastasiadis, Stellvertretender Chefredakteur des Münchner Merkur und Andreas Bachmann, Bayerischer Rundfunk ("Kontrovers") anhören mussten. "Vertrauensverlust in die Presse", so lautete der Titel der Veranstaltung.

44 Prozent der Bürger hätten wegen der Berichterstattung zur Flüchtlingskrise kein Vertrauen mehr in die Medien, zitierte FU-Vorsitzende Fromuth Heene eine Studie. Die Berichte in den Medien würden oft nicht mit den Beobachtungen der Bürger übereinstimmen. Der Fokus liege auf einer positiven Berichterstattung. Als "normaler Bürger" werde man gleich in die rechtsradikale Ecke gestellt, wenn man Sorgen äußere, stimmte Hannelore Hartmann zu. Ein anderer Bürger ärgerte sich über die vielen Fotos in den Medien, die "kulleräugige Flüchtlingskinder" zeigten, obwohl der Großteil der Flüchtlinge doch junge Männer seien.

Anfangs habe tatsächlich eine "Euphoriewelle" geherrscht, gab Bachmann zu. "Herdenjournalismus" nannte dies Moderator Alex Dorow, Landtagsabgeordneter und ehemaliger Journalist. Krügel sprach lieber davon, dass bestimmte Themen "in der Luft" lägen und dann von allen Medien aufgegriffen würden. Allerdings nicht unreflektiert. Die Art, das Ausmaß und der Inhalt der Berichterstattung werden in den Redaktionskonferenzen der SZ "rauf und runter" diskutiert. Vor allem bei der Flüchtlingsthematik machten es sich die Redakteure nicht leicht. "Wir achten sehr genau auf die Tonlage und versuchen, nicht hysterisch zu werden", versicherte Krügel. Es sei keinesfalls eine Art von Zensur, wenn bei Online-Artikeln über Flüchtlinge die Kommentarfunktion deaktiviert sei. In der Vergangenheit sei dies zu oft für verfassungsfeindliche, rechts- und linksextreme Aussagen missbraucht worden. Die Debatte versachlichen, Fakten nennen und nicht Stimmung machen, sei seine Intention. Dabei gebe es durchaus verschiedene Meinungen innerhalb der Kollegen, die sich in verschiedenen Artikeln wiederfinden. Einen solchen "Meinungspluralismus" hat auch Anastasiadis in seiner Zeitung festgestellt.

Eines wiesen beide Journalisten vehement von sich: Eine Einflussnahme von Seiten der Politik. "Absurd" seien solche Vorwürfe, so Krügel, und der Kollege vom Merkur verriet, dass Kritik von Seiten der Politik eher bedeute, "alles richtig gemacht" zu haben. "Das spornt uns eher an". Manchmal zu viel, wie die Causa Wulff gezeigt habe, sagte ein Bürger. "Heute müssen Politiker direkt Angst vor den Medien und vor allem vor den Social Media haben", bedauerte eine Bürgerin. Das sei tatsächlich ein Problem unserer Zeit, gab Dorow zu. Völlig ungezügelt würden aber auch die Journalisten nicht an ihre Arbeit gehen. Es gibt nämlich eine Art freiwilliger Selbstbeschränkung: den sogenannten Pressekodex. Darin steht beispielsweise, dass Straftäter nicht auf ihre Nationalität reduziert werden sollten, wenn diese für die Sache unwichtig sei. Dies sei in der heutigen Zeit, in der viele Tatsachen bereits lange vor dem Andruck der Zeitungen im Internet nachzulesen seien, nicht mehr zeitgemäß, meinte Anastasiadis. Dies sah Krügel ganz anders: "Der Pressekodex ist gültiger denn je." Menschen würden Straftaten begehen, weil sie "schlecht" sind und nicht weil sie "Syrer oder Afghanen sind". Bachmann sagte, auch heute gelte noch die Maxime des verstorbenen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten."

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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