Gilching:Virtuoser Poet in höchster Klarheit

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Verzückte sein Publikum in Gilching: Pianist Benjamin Moser. (Foto: Georgine Treybal)

Pianist Benjamin Moser gastiert beim Kulturkreis

Von Reinhard Palmer, Gilching

Vor wenigen Monaten ist er in Gauting im Duo mit seinem Bruder aufgetreten. Aber mit einem Solorezital hörte man Benjamin Moser in seiner Heimat schon Jahre nicht mehr. Aus der Phase, in der Wettbewerbserfolge und Stipendien als Qualitätsmerkmale galten, ist er bereits eine Weile raus. Was heute vom Renommee des knapp 35-jährigen Pianisten zeugt, sind Einladungen zu Festivals - zum Luzern Festival, bereits dreimal zum Klavierfestival Ruhr, Chopinfestival Marienbad, nach Tokio und Peking sowie Klavierkonzerte mit namhaften Orchestern (Staatskapelle Weimar, WDR-Symphonieorchester, Nordwestdeutsche Philharmonie) und Dirigenten (Kristjan Järvi, Andris Nelsons, Wojciech Rajski) in berühmten Konzertsälen (Tonhalle Zürich, Alte Oper Frankfurt, Carnegie Zankel Recital Hall New York). Moser war kein Senkrechtstarter, seine Erfolgsentwicklung ist langsam, dafür aber stetig und solide.

Zu Gast beim Kulturkreis im Gilchinger Gymnasium erfreute er das Publikum mit einem Programm, mit dem er in wenigen Tagen in der Londoner Wigmore Hall seine größten Trümpfe aus der Tasche zieht. Moser ist ein Tastenpoet, den technisch höchste Schwierigkeitsgrade nicht aus der Ruhe bringen. Sich expressiv in Szene zu setzen oder spektakuläre Gesten zu zelebrieren, das ist nicht sein Ding. Ungeachtet der virtuosen Fingerakrobatik etwa in "Scarbo" aus "Gaspard de la Nuit" von Ravel blieb die Klarheit der Stimmendisposition und die Transparenz in den komplexen Gefügen oberstes Gebot und wurde von Moser bezeichnend unauffällig bewältigt.

Ruhe, Ausgeglichenheit und Konzentration sind beste Voraussetzungen, stets das Ganze zu sehen und in weiten Spannungsbögen zu denken. Selbst die im Grunde harmlose Auswahl "Lyrischer Stücke" von Grieg erhielten eine überzeugende formale Geschlossenheit, auch wenn Moser hier einen enormen Reichtum in der Charakterdifferenzierung aufbot und sich bisweilen detailverliebt kleinsten filigranen Figuren ("Zug der Zwerge") mit Hingabe widmete.

Der lyrischen Grundhaltung Mosers entspringt auch die Gabe, vielfältige Stimmungen zu erzeugen und mit Farbnuancen zu jonglieren. Dies galt schon bei Ravel, etwa in den Farbsphären von "Ondine", weit mehr noch in Debussys "Children's Corner", der geradezu ausschließlich aus sechs Stimmungsbildern bestehenden Suite. Beginnend mit einem plastisch geformten Flirren in "Doctor Gradus ad Parnassum" über meisterhaftes Rubato im verspielten "Serenade for the Doll" bis hin zum beschwingtem Schluss-Ragtime mit sachte verdunkelten Spannungszäsuren: Moser versteht es, auch ohne ausladende Gestik fesselnd zu erzählen. Oder auch zu singen, was er selbst mit Links - Prélude und Nocturne für die linke Hand allein - im op. 9 von Skrjabin mit Bravour bewies.

Ein so überaus feinfühliger Zugriff machte umso gespannter auf die Sonate B-Dur op. 83 von Prokofjew, die mit ihren Kriegsszenarien bisweilen brachial daherkommt. Die Kraft hat Moser durchaus in den Fingern, keine Frage. Seine Interpretation lebte aber vielmehr von unterschwelliger Spannung und drückender, bedrohlicher Atmosphäre. Die drängende Marsch-Schärfe im Kopfsatz stellte die Weichen für das donnernde Ende im dunkel groovenden Jazz-Finale. Umso beseelter erklang das sehnsuchtsvolle Gebet im Mittelsatz mit Gesang: Die Vision einer heilen Welt, wie sie nicht traumhafter sein könnte. Frenetischer Applaus und eine stille Schumann-Zugabe.

© SZ vom 07.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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