Gilching:Nacht der Sinne

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Musik, Tanz, Lyrik: Die 1. Lange Nacht der Kunst und Kultur in Gilching ist ein voller Erfolg. Keine Stars, sondern ausschließlich lokale Künstler gestalten das Programm

Von Reinhard Palmer, Gilching

Gilching setzt erstaunliche Potenziale in Sachen Kunst und Kultur frei. Kaum ist die neue Veranstaltungsreihe im Rathaus gestartet, schon folgt die nächste Premiere: Die hervorragend besuchte und umjubelte 1. Gilchinger Lange Nacht der Kunst und Kultur des Kunstforums in der Aula des Gymnasiums - als Benefizveranstaltung zugunsten von Plan International, daher nicht teuer eingekauft als vielmehr aus Gilchings reicher Vorratskammer bereitet. Was nicht heißen soll, dass es hier nicht anspruchsvoll zuging, selbst wenn Musikschüler - einmal mit Tanzepisoden aus der Ballettklasse, einmal als Percussion-Ensemble "Backclap" - ebenfalls die Bühne in Beschlag nahmen.

Die Besonderheit des Abends war der experimentierfreudige Ansatz in Kombination verschiedener Kunstformen. So auch eine Welturaufführung von Jan Novák "Die Geisterbraut" von 1954 mit Musik, szenischem Tanz und Dichtung zum Abschluss. Natürlich sind szenische Darstellungen per se eine künstlerische Melange bis hin zu Kostümen und Bühnenbild. Doch hier ging es um besondere Ausformungen. Schon die Lyrik-Performance mit Tina Reuther und dem Pianisten Markus Schwaiger brachte mit der Form des Melodrams in Erinnerung, was sich seit Jahrzehnten schon rarmacht. Das Duo bot mit Texten von Kaléko und Kästner emotional Aufwühlendes wie Humorvolles und hob damit das übergeordnete Thema des Abends auf eindringliche Weise hervor: Kunst als sinnliche Erfahrung. Darauf setzten zweifelsohne alle Darbietungen des etwa sechsstündigen Programms, bis hin zur Verpflegungstheke.

Die außergewöhnlichste Form fand wohl "Saitentanz und Weltenklang". Nicht etwa, weil es Ballett mit Kostümen, Lichtgestaltung und Bildprojektion mit Live-Musik nicht schon tausendfach gegeben hätte. Einzigartig war vielmehr, dass die Violinistinnen des Duos "Asap", Almuth Siegel und Ágnes Pusker, nicht nur Prokofjews Sonate für zwei Violinen op. 56 von 1932 instrumental interpretierten, sondern neben den Tanzsolistinnen diese Musik auch mit vertanzten, ohne dass die musikalische Gestaltung darunter gelitten hätte. Gewiss, komplexe Tanzfiguren konnte Choreografin Hannelore Husemann-Sieber den Instrumentalistinnen nicht zumuten. Doch liegend zu beginnen, sich dann in eleganten Figurationen stufenweise zu erheben, ohne dass die durchgehende Melodielinie im Geigenspiel wankte oder auch nur ihre Spannung verlor, das ist schon Multitasking der höchst effizienten Art. Die einzelnen Sätze der Sonate mit den vier Elementen in Verbindung zu bringen und diese in Tanzform darzustellen - mit Denise Jaeger als Wasser, Eva Michl als Feuer, Johanna Geißler als Luft und Jeannette Jaeger als Erde - bot sich von der Charakteristik der Sätze her geradezu an. "Mir kam der Gedanke, dass man ein solches Duett trotz seiner Limitationen interessant genug machen könnte, um es sich zehn bis fünfzehn Minuten lang anhören zu können, ohne seiner müde zu werden", äußerte der Komponist über diese Sonate ironisch. Und ob man sie anhören konnte! Zumal auch mit überaus ästhetischen Darstellungsformen verbunden - in fließender Geschmeidigkeit des Wassers, züngelnder Erregung des Feuers, raumfüllender Leichtigkeit der Luft wie volkstänzerischer Koketterie der Erde.

Obgleich im Kontrast dazu in rein klassischer Form, kam der Beitrag der Pianistin Julia Fedulajewa keinesfalls weniger emotional rüber. Auch dank des vollmundigen Repertoires, doch weit mehr dank Fedulajewas Spielweise in ästhetischer Anschlagskultur. Hier war die sinnliche Ausprägung des Abendprogramms zwar aufs Akustische beschränkt, doch mitnichten weniger üppig, zumal der Pianistin mit Brahms-Werken satte Substanz an die Hand gegeben war. Schon die ersten drei der Klavierstücke aus op. 118 erschlossen weite Ton- und Klangräume sowie emotionale Tiefen. Die Variationen über ein Händel-Thema op. 24 machte Fedulajewa dann zum Feuerwerk anschlagstechnischer Differenzierung. Sie nahm den barocken Duktus in die brahms'sche Romantik der Variationen mit und gewann daraus schier überbordenden Reichtum der Charaktere bis hin zur feierlichen wie empfindsamen Schlussfuge. Eine virtuose Zugabe von Debussy.

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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