Leihoma aus Gilching:Ein Geschenk des Himmels

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Inta Schlicker mit ihrem fünfjährigen "Leihenkel" Boni. Sie betreut nicht nur Kinder, sondern kümmert sich auch um eine Bewohnerin des Altenheims. (Foto: oh)

Seit fünf Jahren betreut Inta Schlicker aus Gilching im Mutter-Kind-Haus ehrenamtlich als "Leihoma" Kinder - ein Beispiel, das nach Ansicht der dortigen Sozialpädagogen unbedingt Schule machen sollte

Von Blanche Mamer, Gilching

Für den siebenjährigen Tim ist die "Oma Schlicker" die beste Oma der Welt. Knapp vier Jahre, solange seine Mutter mit ihm und seinem zwei Jahre älteren Bruder im Mutter-Kind-Haus in Gilching wohnte, hat sie ihn betreut, ihn vom Kindergarten abgeholt, mit ihm gespielt und ihn getröstet, wenn seine Mutter länger arbeiten musste. "Nach dem Tod meines Mannes kam ich mir so verloren vor. Doch ich wollte mich nicht meinem Kummer hingeben und beschloss, mich ehrenamtlich zu engagieren", sagt Inta Schlicker. Im November 2011 las sie im SZ-Adventskalender, dass das Mutter-Kind-Haus jemanden sucht, der sich in der Früh um das Baby einer jungen Afrikanerin kümmert. Die junge Mutter musste morgens für ihre Ausbildung zur Altenpflegerin mit der S-Bahn nach München fahren - zu früh für die Krippe, die erst um acht Uhr öffnete.

"Das hat mir keine Ruhe gelassen", sagt die 67-Jährige Gilchingerin. Sie habe sich gemeldet. Und dann habe sich alles wunderbar gefügt. Die Chemie zwischen ihr und der jungen Kenianerin, die gut Deutsch sprach, habe gestimmt. Somit war schnell klar, dass sich Oma Inta morgens um das Baby kümmern wird. Die Mutter konnte damit rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn in München sein. Daraus hat sich eine Freundschaft entwickelt, die auch bestehen blieb, als Mutter und Kind wegzogen.

Mittlerweile war Inta Schlicker bereits "Leihoma" von fünf Kindern, der letzte war Tim. Die Kleinen seien so ehrlich und der Kontakt mit den Müttern sehr erfrischend, sagt die Ehrenamtliche und betont, sie kümmere sich grundsätzlich nur um ein Kind, stundenweise tagsüber oder auch mal am Abend. Allerdings hat ein Kind auch schon bei ihr übernachtet, als seine Mutter eine dreitägige Fortbildung absolvierte. "Gleich zu Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit wurde eine schriftliche Vereinbarung getroffen, dass ich Schweigepflicht habe und dass ich versichert bin", sagt Schlicker. "Sie ist ein Geschenk des Himmels. Wir sind so froh, dass wir sie haben", findet die Sozialpädagogin Susanne Tietjens, die das Mutter-Kind-Haus leitet. "Wir bräuchten mehr so engagierte Seniorinnen. Einige der alleinerziehenden Mütter haben keinerlei Hilfe von ihren Familien und so gut wie keine Freunde. Sie verfügen über kein soziales Netzwerk, darum ist es so wichtig, dass eine freundliche ältere Person da ist, die gern und freiwillig hilft", sagt Tietjens und hofft, dass das Beispiel Schule macht.

Seit 48 Jahren lebt Inta Schlicker jetzt in Gilching. Geboren und aufgewachsen ist sie in Haar bei München. 40 Jahre lang hat sie bei einem der größten deutschen Versicherungskonzerne gearbeitet. Da ihr Sohn keine Kinder hat, sieht sie die Kinder, die sie betreut, als "großen Gewinn". "Ich nehme mir immer viel Zeit, ich spiele mit dem Kind, lese vor, beschäftige es. Bis jetzt ist nichts in meiner Wohnung zu Bruch gegangen, obwohl ich vieles sammle. Ich erkläre, was und warum etwas gefährlich ist oder warum zum Beispiel der Mittagsschlaf nötig ist", erzählt sie. Schimpfen müsse sie nie. Das bringe auch nichts, davon ist sie überzeugt. Als einer ihrer Schützlinge nicht an der Hand gehen wollte, habe sie ihm die Gefahren des Straßenverkehrs erklärt, der Kleine habe das akzeptiert und sich nicht mehr losgerissen. "Ich glaube, ich kann mich ganz gut reindenken", findet sie. Schlicker kümmert sich allerdings nicht nur um Kinder, sie engagiert sich auch im Besuchsdienst des Gilchinger Altenheims. Auch hier ist sie speziell für eine alte Dame da. "Ich besuche sie einmal die Woche. Wir trinken Tee und reden und dann spielen wir ein Gesellschaftsspiel."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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