Dichten auf Bestellung:Die Wortzauberin

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Inge Oberländer schreibt im Auftrag Gedichte und Reden. Auch bei Liebeskummer kann sie helfen. "Das Reimen fällt mir oft noch leichter", sagt sie über ihre Verse

Von Manuela Warkocz, Gilching

Man kennt das: Die beste Freundin heiratet, die Oma feiert runden Geburtstag. "Kannst du ein paar Worte sagen?". Eine Rede, schluck. Der Termin rückt näher und näher. Man hockt vor dem leeren Blatt oder Computer. Und verzweifelt. Bis einem diese Kleinanzeige einfällt, die man mal ausgerissen und an den Kühlschrank gepinnt hat. "Ich schreibe für Sie... schnell und ganz nach Ihren individuellen Wünschen. Gedichte und Reden für jeden Anlass." Ist das die Rettung? Unter der angegebenen Handynummer meldet sich Inge Oberländer. Die 66-Jährige beruhigt: "Sie geben mir ein paar Fakten und Details. Und ich mach' Ihnen was Schönes. Auch über Nacht, wenn's sein muss."

Schnell musste es bei ihrem ersten Redemanuskript vor zehn Jahre gehen. Die beste Freundin war gestorben. "Der Mann war so verzweifelt, wollte aber keine Nullachtfünfzehn-Rede", so Oberländer. Die Journalistin übernahm es, den Abschied an die Freundin zu formulieren. Der Pfarrer ergänzte Kirchliches. Und das kam an. Eine alte Dame hat bei ihr sogar die eigene Trauerrede bestellt. Sie wollte sichergehen, was nach ihrem Ableben über sie gesagt wird.

Mittlerweile hat die Ghostwriterin aus Gilching jeden Monat zwei, drei Aufträge, darunter auch Kurioses. Etwa einen glühenden Liebesbrief im Namen einer Verlassenen zu verfassen, um den Abtrünnigen zurückzugewinnen. "Etwas Schmachtendes" hatte sich die junge Frau gewünscht. Beherzt griff die Auftragsschreiberin zur Feder. Ob ihr Wortzauber gewirkt hat, hätte sie dann schon gern gewusst. Aber Fehlanzeige. Eher verschmerzen konnte sie, dass der Teenager kein Geld hatte, um für den Liebesdienst zu bezahlen. Dabei sind ihre Worte auf Bestellung gar nicht so teuer. 40 Euro nimmt sie für eine Seite mit 38 Zeilen. Egal ob frei formuliert oder gereimt. "Das Reimen fällt mir oft sogar leichter", sagt sie lachend. Runde Geburtstage, Hochzeiten, Kollegenabschiede - sie schmiedet Verse, was das Zeug hält. Am liebsten Zweizeiler. Kostprobe: "Gesund zu bleiben ist der Schlüssel zum Glück. Gebe ganz viel Liebe und Du kriegst alles mehrfach zurück! Ich drücke Dich, nicht nur auf dem Papier... Und darum komme ich jetzt rüber zu Dir!"

Je mehr sie über eine Person weiß, um so leichter flutscht das Gedicht. Wie beim Abschied des Chefs einer Münchner Polizeidienststelle. "Kollegen schickten mir ein meterlanges Fax. Am Ende wusste ich sogar, welche Blumen der auf der Terrasse hat." Mit dem Auftraggeber hält sie so lange per Mail oder am Telefon Rücksprache, bis das Ergebnis passt. "Und ob der das dann als sein Ding ausgibt oder nicht, ist mir eigentlich wurscht", sagt die Schreiberin ganz bescheiden. Ältere Männer und Frauen, die ihren Enkeln ihre Biografie hinterlassen möchten und sich dabei schwertun, nehmen auch gern ihre Dienste in Anspruch. Stichworte auf Papier oder Erzähltes sind die Grundlage. Dann formuliert sie den Text aus. Hierbei sieht sie sich als Helferin und begnügt sich mit einem bescheidenen Stundensatz von 15 Euro.

Einen wesentlich höheren Preis bezahlte eine Lehrerin aus der Pfalz. Sie hatte Oberländer gebeten, eine bayerische Urlaubsbekanntschaft mit Liebesgedichten zu umgarnen. Die Stichpunkte über den Mann irritierten die Ghostwriterin: Reist nie jenseits bayerischer Grenzen, isst nur in Bayern Produziertes. Aber weil die Pfälzerin ihn unbedingt wollte, formulierte sie süße Zeilen. Die Verliebte bekam ihr "Herzi". Gab Stelle und Wohnung auf und zog zu ihm. Oberländer als "Postillon d'amour" war sogar bei dem Paar eingeladen. Aber das Glück währte nur ein Jahr. Die Beziehung zerbrach in einem emotionalen und finanziellen Desaster.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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