Gilching:Charme des drastischen Scherzes

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Liebt das Drastische: der Kabarettist Thomas Lienenlüke. (Foto: Arlet Ulfers)

Kabarett- und Comedyautor Thomas Lienenlüke gastiert bei Monis Brettl in Gilching mit seinem Liederabend "Revanche?"

Von Gerhard Summer, Gilching

Der Ostwestfale Thomas Lienenlüke kommt aus einem Dorf, das Brackwede heißt und so unglaublich öde ist, dass sich sogar die Regenwürmer im Acker vor lauter Langeweile aufhängen. Die Amerikaner drehten dort 1969 die Mondlandung. Die Leute in Brackwede sagen "Jo", wenn sie Nein meinen, und kaufen ihren nach Adidas verlangenden Buben schon mal Turnschuhe mit zwei Streifen, auf die sie dann mit Edding einen dritten malen. Gruppensex in Brackwede und in Ostwestfalen generell ist schwierig, weil selten mehr als zwei Leute zusammenkommen. Und wenn sich Kinder einen Spaß machen wollen, klopfen sie morgens um vier mit Sense in der Hand und Kapuze überm Kopf bei alten Menschen an der Tür und fragen: "Heißen Sie Schmidkowitz?" Ach, sagt Lienenlüke: "Diese glücklichen Gesichter, wenn sie 'Nein' gesagt haben!" Was also soll aus einem werden, der in Brackwede groß geworden ist und die Weisheiten des ländlichen Philosophen Opa Hein in sich aufgesogen hat, etwa diese: "Nimm die mit Pickel und Brille, die sind dankbarer"? Klar, Autor, Kabarettist, Comedian.

Liennelüke ist tatsächlich seit mehr als zwei Jahrzehnten gut im Geschäft. Kaum eine Satiresendung, bei der er nicht als Autor mitmischt. Seit 2013 schreibt der Mann aus dem Kölner Stadtteil Sülz das Singspiel für den Nockherberg, außerdem für die Augsburger Puppenkiste ebenso wie für Harald Lesch, Luise Kinseher und "Hubert und Staller". Und weil so viel Zeug übrig bleibt, "das einem keiner abkauft", ist er schon seit längerem mit seinem Liederabend "Revanche?" unterwegs.

Resteverwertung? Quatsch. Gerade die erste Hälfte seines Programms in Monis Brettl in Gilching ist streckenweise zum Kringeln. Denn ob er nun Brackwede in den Staub redet, das vermeintliche Wunderkind Malte, 3, besingt oder die Geschichte seines katastrophalen Auftritts bei einer mehr auf "fidele Sandhasen" eingestellten Karnevalsgesellschaft vorliest: Lienenlüke entwickelt als Unterhalter viel Charme, geht auf jede Regung des Publikums ein und schüttelt spontane Gags aus dem Ärmel. Als Autor ist er ohnehin eine Wucht: Seine gereimten Liedtexte und seine Storys sind geschliffen, sehr fantasievoll, gallig, oft auch zotig. Feine Ironie ist seine Sache nicht. Lienenlüke greift gern zum Dampfhammer, und dann übertreibt er es mit den Übertreibungen. Das Porträt des Berufsrauchers Kastenholz aus Köln etwa wäre mit ein paar Schwaden weniger ausgekommen.

Letztlich bleiben die Liebes- und Protestlieder des Gitarristen und versierten Pianisten musikalisch flotte Spaßsongs mit Anklängen an Otto Waalkes, Mike Krüger, Reinhard Mey und Georg Kreisler, nur dass wesentlich mehr Personal stirbt. Sind das also bitterböse Sachen? Nein, eher drastische Scherze, und das genügt auf Dauer nicht für einen überwältigenden Abend. Trotzdem: gewaltiger Applaus und drei Zugaben.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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