Germering:Die Einsamkeit als Gemeinsamkeit

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Das Germeringer Roßstall-Theater zeigt "Josef und Maria" als Gesellschaftsdrama

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

"Josef und Maria", das klingt nach Weihnachten, Es geht hier aber nicht um die biblischen Figuren, wohl aber um Weihnachten im Germeringer Roßstall-Theater. Das bedeutet für viele Einsamkeit und ist kein "Fest der Liebe". Auch Josef Pribil (Willi Hörmann) hat niemanden, mit dem er Heiligabend verbringen könnte oder wollte. "Das mit dem Jesus ist eine Erfindung", sagt er - und hat sich für diesen Abend als Aushilfe eines Wachdienstes im Kaufhaus einteilen lassen. Dort trifft er auf die Putzfrau Maria Patzak (Irma Wachter): Sie hat einen Sohn mit Familie, liegt aber mit der Schwiegertochter ("Die böse Frau") im Streit, und auch sie ist alleine.

Das Stück des Österreichers Peter Turrini spielt an Heiligabend 1991 in Wien, in einer Zeit großer politischer Umbrüche. Wenige Tage später hörte die Sowjetunion auf zu existieren. Es beginnt mit absurd-fröhlichen Werbedurchsagen für die letzten Einkäufe. Der Kaufhaus-Angestellte (Oliver Kübrich) kündigt kurz vor 18 Uhr ein letztes Mal amüsant verlogen Billigschinken und Weihnachtsharmonie an, um dann - genervt und erleichtert - den Ladenschluss zu verkünden. Arbeitsbeginn für die ältere Putzfrau Patzak, die zwar kaum etwas zu putzen vorfindet, dafür aber von Nachtwächter Josef entdeckt wird, als sie zum Kaufhausmikrofon greift und ins vermeintlich menschenleere Kaufhaus sehnsüchtige Botschaften an ihren Sohn Willi hinausruft. In dessen familiärem Alltagsleben - auch an Heiligabend - sind Mutter und Schwiegermutter nicht erwünscht.

Josef, 71 Jahre alt, und Maria, 69, kommen ins Gespräch; nach und nach enthüllen sie ihre Lebensgeschichten. Josef entpuppt sich als Sozialist der orthodoxen Art, der von den Nazis fast umgebracht wurde, wobei er die schlimmsten Gräuel, die ihm angetan wurden, erst gegen Ende verrät. "Ich habe mein Leben hingegeben für die geschundene Menschheit", ruft Josef zitternd und zieht ein eher negatives Fazit. Auch Maria hat bessere Tage gesehen; eine klassische Tanzausbildung stand am Ende ihrer Karriere. 1938 landete sie als Tingeltangel-Tänzerin auf einer drittklassigen Bühne in Tirana. Von ihren Tanzkünsten blieb nur wenig, auch wenn sie versucht, Josef einige Tangoschritte beizubringen. Doch auch als Putzfrau scheint sie nicht gerade Fachfrau zu sein.

Maria beruflich beschämt und trauernd in unerfüllter Mutter- und Liebessehnsucht, Josef desillusioniert, wütend und festgefahren in Sehnsucht nach dem Sozialismus: so begegnen sich diese Menschen in der Gemeinsamkeit gescheiterter Hilflosigkeit; es verbindet sie mehr und mehr. Regie, Hauptrolle, Bühnenbild: Nicht jeder hätte wie Hörmann den Mut, das alles in die Hand zu nehmen, ist doch jedes für sich eine Aufgabe, die alle Kraft für sich einfordert. Doch Josef schreit sich textsicher die Seele aus dem Leib, zunehmend berauscht vom Schnaps, zunehmend artikulationsgehemmt und für Zuschauer-Ohren schrill und überschlagend. Lange reden beide aneinander vorbei, monologisieren, wie das eben so ist in einer Welt, in der Einsamkeit oft genug größte Gemeinsamkeit ist. Doch Sehnsucht und Liebe kennen kein Alter.

Turrinis Stück wurde 1980 in Wien uraufgeführt. 1998 gab es anlässlich des Untergangs der UDSSR eine Neufassung. Die historisch-politischen Ereignisse in Folge der 30er-Jahre haben auch mit Wien zu tun und sind nur für politisch Vorgebildete nachvollziehbar. Josef wurde zum "letzten Mohikaner des Sozialismus" - häufig verlacht, wenn er mit Zeitungen und Flugblättern unterwegs war. Betrunken singt er die Internationale. "Sie sind ein alter Narr, der Sozialismus ist tot", fertigt ihn Maria ab. Sie will sich nicht dem desillusionierten, sondern dem Mann Josef nähern. Weitere Vorstellungen: 11. - 13. und 18. - 20. Dezember.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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