Gautinger Kulturspektakel:Kult bleibt Kult

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Beim Gautinger Kulturspektakel treten 40 Bands auf diversen Bühnen auf. Doch die Musik ist bei diesem Fest nur eine Dreingabe. Die meisten Besucher kommen wegen der ungezwungenen Atmosphäre

Von Annette Jäger, Gauting

Das Publikum will mehr. Es will eine Zugabe. Und die Band? "Was sollen wir spielen? Uns fällt nichts mehr ein", sagt der Gitarrist und schiebt noch eine entschuldigende Erklärung hinterher: "Uns gibt es noch nicht so lange."

Es ist Samstagnachmittag, Sturm peitscht über den Gautinger Schulcampus, lässt Zeltplanen flattern und Beats gegen Böen ankämpfen. Und da sind die drei Musiker von Takamahak, die gerade mal vier Monate zusammen spielen, denen es aber gelingt, 50 Zuhörer vor der großen Bühne zu fesseln, darunter einen Dreijährigen mit Spiderman-Bemalung im Gesicht, der Luftgitarre spielt. In dieser kleinen Szene steckt vieles drin, was das Gautinger Kulturspektakel, das Kult, seit mehr als 30 Jahren ausmacht: Hier sind junge Bands am Start, viele von ihnen fassen gerade Fuß in der Musikszene, sie haben was drauf, legen aber noch nicht alle die ausgefeilte Bühnenshow hin. Dafür leben sie authentisch und ohne Allüren ihren Spaß an der Musik vor. Und das Publikum? Das ist offen für alles, es lässt sich gerne mitziehen.

Lichtblick: Der Schlagzeuger und Leadsänger der Indie-Hoffnung "Adulescens", Maximilian Wörle, sowie Gitarrist Florian Strandl beim Auftritt. (Foto: Georgine Treybal)

Aus mehr als 1000 Bewerbungen hat Niels Lange vom Kulturspektakel-Team 40 Bands ausgesucht, die von vergangenem Freitag bis Sonntag auf drei Bühnen auftraten. Dieses Jahr ist verstärkt Indie in allen Facetten zu hören - Indie-Folk, Indie-Rock, Indietronic - weil es eben das ist, was gerade in München angesagt ist. Es mischen sich aber auch fetzige Ska-Bands darunter wie Rapid, die ihr Publikum am Freitagabend zum Tanzen bringen. Und es gibt Folk, Pop, Rock zu hören. Langes Vorgabe: Auf Waldbühne, kleiner Bühne und großer Bühne soll jeder Besucher seinen Klang finden. Dabei ist ihm ein galanter Spannungsbogen gelungen: Je weiter der Nachmittag in den Abend übergeht, desto bühnenerfahrener, professioneller und auch lauter werden die Bands. Höhepunkte sind die 22-Uhr-Auftritte: Timothy Auld, hochgelobter Nachwuchsstar, bietet am Freitag eine beeindruckend musikalische Bandbreite von Rap, über Hip-Hop bis Rock'n'Roll. Die vielversprechenden Young Chinese Dogs, die am späten Samstagabend selbstbewusst ihre an Irish Folk erinnernden Songs mit kraftvollen Stimmen auftischen, spielten vor ein paar Jahren als blutige Anfänger eines ihrer ersten Konzerte auf dem Kult.

Fetzige Rhythmen, kultige Songs: die Band "Heischneida" aus Traunstein bei ihrem Auftritt in Gauting. (Foto: Georgine Treybal)

"Live ist am schönsten", sagt Timothy Auld vor seinem Auftritt. Weil man nah dran ist am Publikum. Diese Nähe muss man allerdings erst mal schaffen. "Man muss das Publikum zu sich herspielen", beschreibt es Maximilian Wörle, Schlagzeuger und Sänger von Adulescens, die mit elektronisch angehauchten Clubmusik-Klängen ihr Publikum begeistern. Auf seinem bekannten Namen kann sich hier keiner ausruhen. Aber man muss ehrlich sein: Den wenigsten Festivalbesuchern geht es hier um die Musik. Für viele ist sie nur ein angenehmer Nebeneffekt. Die Jungen kommen, um sich zu treffen, die Älteren, um sich nach langer Zeit wieder zu sehen, die Familien, damit sich ihre Kleinen auf dem vom Stockdorfer Eltern-Kind-Programm organisierten Kinderspektakel ein verrücktes wolpertingerartiges Stofftier zusammennähen und sich das Gesicht bemalen lassen.

Rock'n'Roll mit Überschlag: Tänzer vor der Hauptbühne des Festivals. (Foto: Georgine Treybal)

Viele nehmen in den lauschigen Biergärten, die über das Gelände verteilt sind, Platz und bewegen sich nicht mehr weg. Es gibt ja auch genug zu schauen und zu entdecken. So mancher Jugendliche lebt hier drei Tage lang und ruht sich am Nachmittag beim Schachspielen aus oder in einer Hängematte. Andere halten sich am Bier fest, lassen sich über das Gelände treiben und von Schülern an den Buden einen Wrap und ein Baguette zusammenbasteln. Sie hören mal hier und da an einer Bühne vorbei, wenn es gefällt, bleiben sie hängen, dann es ist das Sahnehäubchen auf dem Festival-Wochenende. So wie am Samstagnachmittag als die beiden Gräfelfinger Musiker, die sich Bulls I nennen, auf der Waldbühne nur mit Gitarre ihre wunderbar unaufgeregten, poetisch-ironischen Lieder sangen. Das war so ein Sahnehäubchen.

Dass das Spektakel dieses Jahr wieder räumlich ein wenig enger zusammengerückt, ist gut. Die Besucher verlaufen sich nicht mehr auf dem riesigen Schulcampus, abends wird es knallvoll, was die intim-gemütliche Atmosphäre noch unterstreicht, für die dieses Fest so beliebt ist. Gegen 23 Uhr ziehen die Besucher langsam nach Hause, das Gemurmel der Massen, die letzten Takte klingen noch nach in die Nacht wie ein verhallendes Echo. In mehr als 30 Jahren ist alles anders geworden, doch das Kult ist, wie es immer war: jung und mit diesem erfrischend provisorischen selbst gemachten Charme ausgestattet, der über allem schwebt. Bis nächstes Jahr.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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