Gauting:Weltklasse!

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Das neu besetzte Artemis Quartett mit Vineta Sareika, Anthea Kreston, Eckart Runge und Gregor Sigl. (Foto: Arlet Ulfers)

Das Artemis Quartett im Bosco Gauting

Von Reinhard Palmer, Gauting

Kein Wunder, dass Anthea Kreston (zweite Violine) stark angespannt wirkte. Seitdem sie den Platz von Gregor Sigl übernommen hat, der an die vakante Viola wechselte, lastet auf ihr die gesteigerte Aufmerksamkeit der Konzertbesucher und Kritiker. Und sie selbst ist von dem enormen Ehrgeiz getrieben, schon nach wenigen Monaten dem Artemis Quartett ohne Abstriche gerecht zu werden. Auch Primaria Vineta Sareika agiert sehr expressiv, doch Kreston schaltete hörbar einen Gang höher.

Höchste Intensität und gesteigerte Aufmerksamkeit für jedes Detail zeichnen das Spiel des 1989 gegründeten Ensembles grundsätzlich aus. Das Erstaunliche dabei: Auch wenn aus der Gründungsbesetzung lediglich Cellist Eckart Runge übrig blieb, hat das Ensemble bei keinem Besetzungswechsel an Qualität eingebüßt. Und auch diesmal zeigten nicht zuletzt die Ovationen und der lang anhaltende Applaus des Publikums im Gautinger Bosco, dass es nach wie vor um Weltklasse geht.

Stehend zu konzertieren, ermöglicht es den Musikern, dem Spiel in der Bewegung Nachdruck zu verleihen und zugleich eine vitalere Bühnenpräsenz zu erreichen, die im Bosco bis in die letzten Publikumsreihen ihre Wirkung entfaltete. Die weiten Bögen, die das Artemis Quartett zog, waren stets bis zum Bersten gespannt, sodass selbst das leiseste Dahinschweben über mehrere Minuten die Aufmerksamkeit nicht eines einzigen Zuhörers verlor.

Die Rede ist vor allem vom Finale in Schostakowitschs Streichquartett Nr. 5 B-Dur, das dieses geistvolle Werk auf magische Weise fast schon transzendieren ließ. Eine Steigerung dessen, was bereits im Mittelsatz als seelentiefe Empfindung faszinierte. Beim Artemis Quartett ist kein Ton nur klingende Oberfläche. Auch wenn es mal musikantisch zu Sache geht, bleibt das Glühen von innen heraus höchste Priorität. Das betraf sehr wohl auch Schostakowitschs Rahmensätze, die in ihrer geschärften Harmonik mit geballter Energie die Balance zu den meditativen Teilen herstellten.

Dieses lustvolle Zupacken spielte in Hugo Wolfs Italienischer Serenade G-Dur eine zentrale Rolle. Das seltene kammermusikalische Werk des Lied-Meisters spiegelt seine Begeisterung für den Süden wider, die er nicht zuletzt mit seinem Spanischen und Italienischen Liederbuch offenbarte. Das Brennen für die Reize des Mediterranen ist aber nicht vordergründig. Erst in der präzisen Erzählkunst der spitzfindigen Episoden kitzelte das Artemis Quartett die Faszination heraus. Auch wenn hier kein überlieferter programmatischer Hintergrund vorliegt, ist eine schlüssige Collage aus Farben, Stimmungen und erzählerischen Elementen gewiss der überzeugendste Weg, den Kern dieses orchestral gedachten Stückes zu enthüllen. Ist doch durch die Zurücknahme ins Kammermusikalische eine vordergründige Euphorie von vorneherein ausgeschlossen.

Das orchestrale Denken und zugleich kammermusikalische Gestalten war in allen drei Werken das Thema. So auch im ersten Rasumowsky-Quartett op. 59/1 F-Dur von Beethoven. Mit diesem Streichquartett drang der Komponist in einen neuen musikalischen Kosmos vor. Die sinfonischen Dimensionen des Werkes stellen hohe Ansprüche an die Interpreten, vor allem in klanglicher Hinsicht. Es war mithin eines der Werke, in denen das Artemis Quartett seine Trümpfe üppig ausspielen konnte: einerseits durch die Meisterschaft, weite Zusammenhänge dramaturgisch fesselnd zu entwickeln, andererseits dadurch, unentwegt changierende Charakteristika und Färbungen klar zu artikulieren und in ihrer Wertigkeit intensiv auszuprägen.

Das galt für das spritzig-brillante Scherzo mit dem melancholischen Seitenthema genauso wie für das berührend austarierte barocke Lamento des Adagios und den Schlusssatz mit seinem russischen Volkslied als Thema, der sich orchestral ausdehnte und schließlich konzertant mit einer diszipliniert und maßvoll erhobenen Solovioline einen begeisternden Schlusspunkt setzte.

Die Zugabe - der Schlusssatz aus Mozarts G-Dur-Quartetts (KV 387) - ließ noch einmal das lustvolle Zupacken dieses Weltklasse-Quartetts aufflammen.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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